Bischofsmütze, Kuhfuß oder Ostfriesische Palme: alte, heimische Obst- und Gemüsesorten zeichnen sich nicht nur durch eigenwillige, witzige Namen, sondern vor allem durch charakteristischen, individuellen Geschmack aus. Immer mehr verschwinden.
Portulak, Mangold oder Topinambur gehören in vielen Lebensmittelmärkten und Discountern nicht zum Sortiment. Stattdessen finden sich dort prallrote Tomaten ohne Geschmack, grüne Äpfel ohne Vitamine oder riesige Radieschen ohne Schärfe. Die Ware aus dem Supermarkt sieht häufig zwar ansprechend aus, lässt bei Geschmack und gesunden Inhaltsstoffen dann aber zu wünschen übrig. Auch regionale Spezialitäten bei Obst und Gemüse sind eher die Ausnahme.
Ein Blick in die Auslage macht noch etwas anderes deutlich: Zwar sind die Obst- und Gemüseregale voll, schaut man jedoch genauer hin, zeigt sich, das Angebot ist nur auf wenige Sorten beschränkt. Nimmt man beispielsweise Äpfel, erschöpft sich das Sortiment meist in Braeburn, Golden Delicious, Granny Smith, Jona Gold und Pink Lady.
Und das obwohl in Deutschland rund 2000 (!) Apfelsorten existieren. Der Großteil der im Handel erhältlichen Äpfel geht dennoch auf gerade einmal sechs Sorten zurück. Die Folge ist ein geschmackliches Fiasko denn mit der biologischen Vielfalt, geht auch der aromatische Facettenreichtum der Äpfel verloren. Regionale Spezialitäten, wie etwa den Lausitzer Nelkenapfel, sucht man in den Regalen vergeblich. Eine anspruchslose Apfelsorte, die auch auf kargen Böden gut wächst und schon im 18. Jahrhundert kultiviert wurde. Trotzdem gibt es nur noch vier Erzeuger deutschlandweit, die diese heimischen Exoten noch anbauen.
Weltweit agierende Konzerne
Warum verschwinden diese alten Sorten immer mehr? Der Handel schiebt die Schuld auf den Verbraucher ab, der nur bestimmte Sorten kauft, weil sie ihm schmecken. Die Nachfrage bestimme den Anbau, heißt es. Doch ganz so einfach ist es nicht. Das Aussterben der Arten verläuft parallel zur Konzentration auf dem Herstellermarkt. Sorgten früher kleine regionale Zuchtbetriebe dafür, dass Saatgut vermehrt und erhalten blieb, das an das örtliche Klima optimal angepasst war, bestimmen heute weltweit agierende Saatgut-Konzerne den Markt. Die Produktionen sollen effizient, schnell und ertragreich sein. Die Obst- und Gemüsesorten müssen weitgehend klimaunabhängig angebaut werden können, resistent gegen Schädlinge sein, sowie in Form und Aussehen gleich bleiben. So können sie zudem platzsparend transportiert und in den Auslagen der Supermärkte optimal präsentiert werden. Das für diese Hybridzüchtungen nötige Saatgut kann bei diesen Arten nur einmal verwendet werden, weil es sich nicht von selbst vermehrt. So zwingen die Konzerne die Bauern in Abhängigkeit, da sie immer wieder neues Saatgut einkaufen und aussäen müssen. Früchte und Gemüse, die nicht der Norm entsprechen, bleiben in der Regel auf den Feldern, vergammeln oder werden sogar vernichtet.
Biodiversität fördern
Gehen Kunden vermehrt auf einen Bauernmarkt, der auch alte Sorten anbietet oder erkundigen sich nach Streuobstwiesen in der Gegend, könnte sich das ändern. Auf den Märkten ist der direkte Austausch mit den Erzeugern möglich und vielerorts darf der Kunde auch probieren, bevor er kauft. Streuobstwiesen wiederum sind naturbelassene weitläufige Grünflächen mit verschiedensten Obstbäumen. Das Gegengewicht zur üblichen Monokultur, die durch den intensiven isolierten Anbau einzelner Sorten, nicht nur die Artenvielfalt verschwinden lässt. Sie schadet auch der Fruchtbarkeit des Bodens und damit dem ökologischen Gleichgewicht.
Wer das Glück eines eigenen Gartens oder eines gepachteten Beetes hat, kann gezielt alte und seltene Sorten anbauen, die oft langsamer wachsen und erntereif sind, als auf die Industrie ausgerichtete neue Züchtungen. Denn die sollen möglichst schnell und in großer Zahl reif sein. Was Kleingärtner natürlich recht bald an die Grenzen ihrer Kapazität bringen kann.
Eine aus Ostfriesland stammende Zuckererbsensorte reift beispielsweise so langsam, dass sie über mehrere Wochen hinweg abgeerntet werden kann. Auf diese Weise verdirbt auch nichts so schnell. Mittlerweile haben sich spezielle Anbieter etabliert oder Vereine wie die Arche Noah und Slow Food gegründet, die es sich zur Aufgabe machen, die Biodiversität zu erhalten. Einige haben sich auf regionale Saaten und Setzlinge spezialisiert, weil viele Arten nur in einer estimmten Umgebung wirklich gut gedeihen. So wächst beispielsweise die Ostfriesische Palme – eine Gründkohl-Variante – tatsächlich ganz besonders gut in riesland.
Slow Food hat das Projekt der ‚Arche Passagiere‘ ins Leben gerufen, um alte Nutzpf lanzen vor dem Aussterben zu bewahren. Interessierte Naturschützer und Kleingärtner können sich aktiv an diesem Projekt beteiligen, indem sie Spezialitäten ihrer Region als ‚Arche Passagier‘ vorschlagen und so ür nachfolgende Generationen zu erhalten.
Über Tauschbörsen oder gegen einen Unkostenbeitrag kann man entsprechendes Saatgut erstehen. Wer sich noch weiter engagieren möchte, kann sich auch an der Vermehrung und Verbreitung aktiv beteiligen.
Vom Aussterben bedroht
Wie alarmierend die Situation für bestimmte Sorten sein kann, zeigen ein paar Beispiele: Der Kuhfuß ist eine Birnenart, die ursprünglich im Raum Hannover beheimatet war. Heute wächst sie nur noch an einem einzgen Baum in Bayern. Ein Schicksal, das die Kochbirne mit dem Teltower Rübchen teilt. Einer brandenburgischen Spezialität, die auch nur noch dort von einem Erzeuger angepflanzt wird.
Alte Gemüsesorten zeichnet neben der geschmacklichen Vielfalt und ihren gehaltvollen Inhaltsstoffen aus, dass sie in der Regel über Generationen hinweg optimal an die Bedingungen einer Region, in der sie ursprünglich vorkommen, angepasst sind. Die Ur-Sorten weisen außerdem eine genetische Vielfalt auf, was sie widerstandsfähig gegen Schädlinge, Krankheiten und klimatische Veränderungen macht.
Besonders anspruchslose Sorten waren dort beliebt, wo die Pflanzbedingungen suboptimal waren. Halfen sie doch über karge Zeiten und Hungerperioden hinweg. Zu diesen Gemüsen zählen der Meerkohl, mit seinen dicken fleischigen Blättern, die bereits von den Römern geschätzte Pastinake oder die Melde. Ihre Geschichte geht sogar bis ins 3. Jahrhundert vor Christus zurück.
Namen und Geschichten
Alte Obst- und Gemüsesorten tragen häufig fantasievolle Namen wie Bischofsmütze (Gartenkürbis), Holsteiner Platter (Kohl), Pinki oder Pirat (Kartoffeln), brauner Trotzkopf (Kopfsalat) und Lukullus oder Gelbes Ochsenherz (Tomate). Dahinter verstecken sich nicht nur Hinweise auf Herkunft und Erzeuger, etwa wenn Ortsbezeichnungen und Voroder Nachname des Züchters für die Sorte ausgewählt wurden (Roter Augsburger für eine Paprikasorte und Cosima für eine Kartoffelzüchtung). Oft weisen die Bezeichnungen auch auf die Geschichten hin, die mit der Entstehung verbunden sind.
Die Ostfriesische Palme etwa trägt ihren Namen, weil die Pflanze bis zu 1,80 cm hoch wird und damit alle anderen Arten überragt. Im platten Friesland ist sie entsprechend weit sichtbar. Die Salatsorte Bunter Forellenschluss, erhielt ihren Namen, weil ihre getupften Blätter wie die Schuppen der Forelle aussehen. Offenbar war der erste Züchter dieser Sorte 1882 auch ein passionierter Angler und Fischkenner.
Nutzpflanzen haben ihren festen Platz in der Kulturgeschichte und Heilkunde. Ihre Sortenvielfalt zu bewahren, heißt auch die Wurzeln alten Wissens zu erhalten. Je gehaltvollerein Gemüse oder Obst ist, desto gesünder. Die geschmackliche Vielfalt regionaler Spezialitäten sorgt nicht nur für Abwechslung auf dem Teller, sondern auch für Individualität in Zeiten, da Gleichklang und identisches Aussehen zum Maß aller Dinge erhoben werden.
Claudia Hötzendorfer