Direkt vor unseren Augen und trotzdem im Verborgenen „sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht“. Der Förster Peter Wohlleben erzählt faszinierende Geschichten über absolut verblüffende Fähigkeiten der Bäume. Denn zwischen Wurzeln und Krone passiert mehr, als wir ahnen.
Bäume sind weit mehr, als bloße Holzlieferanten. Sie sind Lebewesen mit Bedürfnissen, können fühlen, kommunizieren und sogar zählen. Wer es nicht glaubt, bekommt im nachstehenden Interview mit Förster Peter Wohlleben eine völlig neue Sichtweise auf Buche, Eiche, Fichte, Tanne und Co.
Die Forschung zur Intelligenz der Pflanzen steckt noch in den Kinderschuhen, trotzdem gibt es schon spannende Erkenntnisse. Unterschätzen wir die Bäume und ihre Fähigkeiten?
„Ich glaube, die Wissenschaft unterschätzt die Bäume mittlerweile nicht mehr. Daher stammen auch viele Fakten, über die ich in meinem Buch schreibe. Es ist letztendlich ein Übersetzen einer entemotionalisierten Sprache. Die Wissenschaft ist ja vermeintlich objektiv und bedient sich trotzdem einer völlig emotionslosen Sprache. Dabei gehören zur menschlichen Sprache auch die Gefühle dazu. Wenn ich die heraus nehme, geht das Verständnis verloren. Förster verkaufen gerne ihr Produkt, nämlich Holz. Sie sagen, ein Baum hat Funktionen. Wie ein Bio-Roboter produziert er Sauerstoff, spendet Schatten, ist gut fürs Klima etc. In Wirklichkeit sind es aber hochkomplexe Lebewesen mit Gefühlen, einem Gedächtnis und einem reichen Sozialleben. Wenn das im kollektiven Gedächtnis verankert wird, wäre die Forstwirtschaft mit einem Mal wirklich kompliziert. Dann wären wir da, wo wir heute in der Diskussion mit der Massentierhaltung sind. Die zum Glück im Wandel begriffen ist.“
In der Schweiz ist man soweit, Pflanzen, vergleichbar den Tieren, eine Würde zuzusprechen. Hierzulande wohl eher noch Zukunftsvision.
„In der Schweiz ist die Würde der Pflanzen in der Verfassung verankert. Die Wissenschaft unterteilt Tiere einerseits, Pflanzen andererseits. Tiere sind uns ähnlich, die Pflanzen leben zwar, sind von uns aber sehr weit entfernt. Dabei ist der einzige Unterschied zwischen Tier und Pflanze der, dass Pflanzen ihre Nahrung selber produzieren, während ein Tier für die Ernährung andere Lebewesen töten muss. Diese scharfe Trennung ist aber nur in diesem einen Aspekt des Nahrungserwerbs zulässig. Für alles andere existiert diese Grenze überhaupt nicht. Doch diese Unterscheidung macht es deutlich leichter zu sagen, auf die Tiere nehmen wir Rücksicht – was auch richtig so ist – aber bei den Pflanzen, müssen wir das nicht. Dabei sind es Lebewesen mit Lebenszielen, die sicher sehr weit davon entfernt sind, bei uns mal auf dem Teller zu landen oder Teil einer Schrankwand zu sein. Da kommen wir schon in eine Zwickmühle. Selbst wenn man als Vegetarier glaubt, ich ernähre mich nur von Pflanzen, also bin ich moralisch auf der sicheren Seite.
Claudia Hötzendorfer
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