
Singen ist für Snatam Kaur eine meditative Erfahrung. Ihre Musik kommt aus dem Herzen und berührt die Herzen und Seelen von Hunderttausenden. Für VISIONEN erklärt sie die kraftvolle Wirkung von Mantras.
Snatam Kaur, in deinen Konzerten singst du nicht nur spirituelle Lieder, die du zum Teil selbst komponierst, sondern chantest auch Mantras, die sehr alt und kraftvoll sind. Welche Wirkung haben Mantras auf Körper und Geist?
Wenn ich diese heiligen Wörter und Schwingungen chante, spüre ich in meinem Geist eine Leichtigkeit und auch in meinem Körper eine Energie der Leichtigkeit. Durch meine Ausbildung in Kundalini-Yoga und Meditation weiß ich, dass das Chanten von Mantras stark transformierend wirkt und dass es einen engen Zusammenhang zwischen dem Mantra-Chanten und Energiebewegungen im Gehirn und im Körper gibt. Dafür gibt es eine wissenschaftliche Erklärung: Beim Chanten klopft und drückt die Zunge auf bestimmte Stellen des Gaumens in der Mundhöhle, was positive Botschaften – von Licht, Liebe und All-Einheit – an den Hypothalamus im Zwischenhirn sendet, der diese Botschaften nicht nur an das ganze Gehirn, sondern auch an das Drüsen- und vegetative Nervensystem weitergibt.
Zum einen spüren wir also auf der physischen Ebene die Energie von Leichtigkeit und Freude. Ich vermute, dass man noch viele gesundheitliche Vorteile der Mantras entdecken wird. Es gibt bereits Studien, die den hilfreichen Effekt spezifischer Mantras wie „Sa Ta Na Ma“ bei Alzheimer- Patienten belegen.
Zum anderen verhelfen uns die Mantras auf der Seelenebene definitiv zu mehr Verbundenheit. Beim Chanten spüre ich ein stärkeres Einssein mit allen Wesen, ein stärkeres Gewahrsein meiner Seele, meines inneren Mutes und Lichtes.
Du bist in einer Familie aufgewachsen, in der Spiritualität zum Alltag gehörte und lebendig gepflegt wurde. Hat sich dein Zugang zu den Mantras im Lauf der Zeit verändert?
Stimmt, ich wurde quasi in diesen spirituellen Lebensstil hineingeboren. Meine Eltern haben täglich Chants praktiziert, um sich auf eine höhere Dimension einzustimmen, und so war diese Energie von Anfang an Teil meiner Seele. Als Teenager lernte ich, das Chanten anzuleiten, dann trat ich mit den Chants auf und Anfang Dreißig habe ich meine erste CD aufgenommen. Aber als ich meine Ausbildung zur Kundalini-Yoga-Lehrerin abschloss und Mutter wurde, wuchs in mir der Wunsch, vor allem das Chanten zu unterrichten, damit andere die Kraft der Chants selbst erfahren können und damit die Technik des Chantens an die nächsten Generationen weitergegeben wird. Mein Hauptfokus liegt also jetzt darin, Menschen zu helfen, die heilige Schwingung in sich selbst zu verkörpern und so Heilung zu erfahren.
Neben deinen Konzerten vermittelst du ja in Workshops das Chanten von Mantras. Kann jede/r das Chanten lernen?
Sicher, jeder kann das Chanten lernen! Es braucht allerdings Zeit und Übung. Das Praktizieren von Kundalini-Yoga und Meditation hilft eindeutig, die Stimme zu kräftigen. Denn Chants sind Bestandteil von vielen Übungssätzen des Kundalini-Yoga, gerade bei den Meditationen.
In der Kundalini-Yoga-Tradition ist das Chanten mehr als bloßes Singen: Das Chanten integriert die Energie der Wirbelsäule und des Chakrensystems und die heilige Energie des Körpers. Durch die Yoga-Praxis wird diese Energie unterstützt, reguliert und gestärkt. Ich habe selbst erlebt, wie Menschen, die Angst vor dem Singen hatten, nach dem Üben von Kundalini-Yoga singen konnten. Das ist wunderbar!
Kann man beim Chanten etwas falsch machen?
Das Chanten ist eine bestimmte Art von Yoga, und die Aussprache der Silben und Wörter ist ein wichtiger Teil davon. Die Chant-Energien erlebt man stärker, wenn man auf ein paar Dinge achtet: Das eine ist deine Absicht, nämlich die Ausrichtung auf Verbundenheit und Hingabe, und das andere ist die Aussprache. Diese zwei Dinge wirken zusammen.
Wenn jemand eine großartige Aussprache hat, aber nicht von Hingabe motiviert ist, ist die Wirkung nicht so besonders. Und wenn jemand wirklich in Liebe und Hingabe aufgehen will, seine Aussprache jedoch schrecklich ist, wird er wahrscheinlich leichter direkt durch Meditation in den Zustand der Einheit und Glückseligkeit gelangen, als durch das Mantra-Chanten.
Aber wenn man die Aussprache der Mantras richtig hinbekommt und auch die richtige Intention hat, kann man durch die Verbindung dieser zwei ugänge eine unglaublich starke Erfahrung machen. Es ist mir daher besonders wichtig, Menschen die Instrumente und Techniken für die korrekte Aussprache zu geben und auch an meiner eigenen Aussprache zu arbeiten. Denn ich habe festgestellt, dass ich mehr Glückseligkeit erfahre, wenn meine Aussprache korrekt ist.
Haben Mantras dieselbe Wirkung, ob man ihnen nur zuhört oder man sie selber chantet?
Mantras können eine sehr heilsame Wirkung haben, wenn wir uns von ihnen im Alltag begleiten lassen – etwa indem wir sie in der Küche bei der Essenszubereitung hören oder sie beim Autofahren, bei der Arbeit oder daheim laufen lassen. Mantra-Musik zu hören kann Stress reduzieren und eine Atmosphäre des Heiligen schaffen. Aber die Mantras selbst zu chanten ist weit kraftvoller als sie nur zu hören. Denn beim Chanten können wir beim Aussprechen der Silben unsere Gehirnchemie verändern und auch durch die Atmung den Energiefluss in unserem Körper harmonisieren.
Zudem löst allein schon der Akt des Singens so viel Freude in uns aus – diese Wörter tragen so viel Liebe, so viel Nektar in sich! Wenn du all das im efäß deines eigenen Körpers tust und den Klang deiner eigenen Stimme beim Rezitieren dieser heiligen Wörter hörst, wirkt es sehr ermächtigend und heilend.
Zu deinem Werdegang unter deinem Lehrer Yogi Bhajan gehört neben dem Kundalini- Yoga auch das Naad- bzw. Nada-Yoga. Was ist Naad? Und was ist Nada-Yoga?
„Naad“ ist ein sehr schönes Wort, das „Klangstrom“ bedeutet. Es setzt sich aus zwei Begriffen zusammen: „Aad“ bezeichnet das Uranfängliche Unendliche Wesen, und „Na“ bezeichnet das Begrenzte, Endliche, Vergängliche. Naad ist also die Existenz des Unendlichen Uranfänglichen Wesens in den begrenzten, vergänglichen Formen – also im physischen Körper. Und das ist möglich durch das Rezitieren von heiligen Mantras und Chants.
Die Chants der von Yogi Bhajan gelehrten Naad-Yoga-Tradition haben einen lebendigen Atem, eine so lebendige Energie, dass sie zu unserem Lehrer werden und uns auf unserem Weg zu größerer Bewusstheit führen.
Im Lauf meines Lebens habe ich viele Chants praktiziert, die eine tiefgreifende Transformation bewirkt haben. Zum Beispiel habe ich während der Schwangerschaft das heilige Lied „Puuta maata kii assiis“ gechantet. Das ist ein besonderes Gebet, das die werdende Mutter für ihr Kind, seine Spiritualität und die Erfüllung seiner Seele chanten kann. Dieses Gebet habe ich jeden Tag für meine ungeborene Tochter gechantet – eine sehr schöne Erfahrung. Es gibt auch spezifische Chants für das Sterben, damit der Sterbende loslassen, sich von dieser irdischen Ebene des Lebens lösen und in die Unendlichkeit eingehen kann.
Es gibt also spezifische Chants, die uns in den verschiedenen Lebenssituationen dank ihrer heilsamen Wirkung enorm helfen. Sie sind das kraftvollste Instrument, das mir zur Verfügung steht – was für ein Segen! Ich denke, dass wir durch heilige Chants (aus welcher Tradition auch immer) die Energie auf unserem Planeten verändern können. Indem immer mehr Menschen chanten, können wir etwas Gutes für unser Bewusstsein tun und uns bewusst entscheiden, Hüter der Erde zu werden, Hüter unserer Mitmenschen, unseres Wassers, unserer Luft. Bei den Chants geht es einzig darum, das Bewusstsein zu erwecken. Und es ist mein Anliegen, dass sie vermittelt werden, damit wir alle – aus allen Traditionen – die Reise zum Erwachen der Menschheit fortsetzen können.
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