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Yin & Yang

Es gibt so viel Ungerechtigkeit in dieser Welt, da könnte man an Gott zweifeln. Aber können wir wirklich beurteilen, was gerecht und was ungerecht ist?

Die Annahme, Spiritualität wäre weder logisch noch überprüfbar, trifft nicht zu. Spiritualität ist ein geradezu wissenschaftliches System von Gesetzmäßigkeiten, das durch praktische Erprobung verifiziert werden kann.

Ein zeitlos gültiges System

Als praktisch nachvollziehbare Wissenschaft von der Seele und ihrer Vereinigung mit ihrem göttlichen Ursprung beruht Spiritualität auf zwei fundamentalen Prinzipien oder Gesetzmäßigkeiten: Erstens, sie unterliegt nicht dem Wandel. Sie ist unveränderlich. Sie bleibt in ihren Grundzügen für alle Zeiten und alle Generationen gleich. Diese zeitlose Gültigkeit wird in allen heiligen Schriften der Welt bezeugt, auch in der Bibel, wo es heißt: „Das Gesetz des Herrn ist ewig…“ In keiner Weise kann das gesetzmäßige System der Spiritualität durch neuformulierte Lehrsätze, Definitionen und Dogmen seitens der theologischen Institutionen abgewandelt oder außer Kraft gesetzt werden. Es kann also keine Rede davon sein, dass die Regeln der Spiritualität in früheren Zeiten wohl soundso waren, dass Gott aber für heute andere Regeln als früher vorgibt.

Spiritualität ist also in keiner Weise abhängig von theologischen Erklärungen und Beschlüssen. Auch wenn religiöse Oberhäupter irgendwelche Lehren, die nicht im Einklang mit den zeitlosen Prinzipien der Spiritualität sind, zu etablieren versuchen, werden sie an der Spiritualität selbst nichts verändern. Somit gibt es keine neue Spiritualität gegenüber einer veralteten Spiritualität. Deshalb ist keine Religion besser als irgendeine andere. Sie beruhen ja alle auf denselben gottgegebenen Gesetzmäßigkeiten und Regeln. Da alle Religionen im Kern dasselbe vermitteln, wenngleich mit verschiedenen Worten, erübrigt sich die Frage, ob wir der richtigen Religion angehören oder besser zu einer anderen wechseln sollten. Wenn wir den Eindruck haben, innerhalb der eigenen Religion nicht zurechtzukommen und Gott nicht näher zu kommen, könnte dies eher daran liegen, dass wir unsere Religion nicht richtig praktizieren. Die Lösung liegt also nicht darin, zu einer anderen Religion überzutreten.

Das Gesetz von Ursache und Wirkung Die zweite grundlegende Gesetzmäßigkeit, auf der alle Spiritualität beruht, ist das Gesetz von Ursache und Wirkung. Jedes Ereignis hat seine Ursache, und jedes Ereignis zieht seinerseits eine mit ihm verknüpfte Wirkung nach sich. Dies ist ein Gesetz von kosmischer Bedeutung, es gilt schlicht für alles was ist. Durch dieses Gesetz wird der ganze Kosmos mit all seinen Bestandteilen in Balance und in Gang gehalten. Für den Menschen als ein mit besonderem Bewusstsein ausgestattetes Wesen gilt das Gesetz von Ursache und Wirkung mit besonderer Konsequenz: Alles, was wir Menschen mit ichhafter Absicht tun, sagen und denken, hat nicht nur seine Wirkung auf die Mitwelt, sondern fällt in der gleichen Form auf uns selbst zurück. Und zwar weil jede Handlung Spuren in unserem Bewusstsein hinterlässt und abgespeichert wird. Jede Aktion hat also ihre Re-Aktion; jede Tat kehrt in identischer Art und gleicher Stärke zu ihrem Urheber zurück. Was du säest, wirst du ernten. Wie du in den Wald hineinrufst, schallt es wieder heraus.

Jesus und das ewige Gesetz Für unser gesamtes Handeln gilt daher: Wenn du irgendjemandem Schaden zufügst, wirst du selbst (früher oder später) den gleichen Schaden erleiden. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, heißt es in der Bibel (vgl. 2. Moses 21,24). Dieses Gesetz, das für ausgleichende Gerechtigkeit sorgt, gilt unveränderlich durch alle Zeitalter hindurch. Mit einem kritischen Seitenblick auf die Theologen seiner Zeit sagte Jesus Christus in der Bergpredigt: „Wahrlich, bis Himmel und Erde vergehen, wird weder der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist“ (Matthäus 5,18). Jesus bekräftigt damit, dass so lange, wie die Schöpfung Bestand hat, jede ursächliche Handlung ihre Rückwirkung haben wird. Keine Ursache wird ohne ihre spezifische Rückwirkung bleiben, und kein Ereignis wird zufällig und ohne Ursache geschehen. Daran werden erfinderische Theologen nichts ändern. Jesus warnt nämlich im nächsten Satz: „Wer nun eins von diesen geringsten Geboten auflöst und die Leute so lehrt, der wird im Himmelreich der Geringste heißen; wer sie aber tut und lehrt, wird groß heißen im Himmelreich“ (Matth. 5,19).

Gerechter Ausgleich in allem

Es ist daher nicht recht, durch dogmatische Beschlüsse den Menschen verbindlich vorzuschreiben, wie sie sich in dieser oder jener Situation zu verhalten haben. Denn dogmatische Beschlüsse führen zum einen dazu, dass die Menschen ihren Glauben an die Autorität Gottes verlieren, weil sie sich stattdessen an die Autorität der religiösen Institution zu halten haben. Zum anderen sind die Menschen durch solche pauschalen, dogmatischen Vorgaben in ihrem Handeln einheitlich festgelegt und können nicht so individuell reagieren, wie es erforderlich wäre, um die früher gesetzten Ursachen ihrer heutigen Umstände restlos auszugleichen.

Diese Welt existiert, damit Gerechtigkeit – der gerechte Ausgleich – geschehen kann. Und wir sind in diese Welt eingetreten, um in unserem Handeln und Erleben der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Es steht uns nicht an, die Gerechtigkeit Gottes zu korrigieren und den gerechten Lauf der Dinge nach unseren Wünschen abzuändern! Dabei ist Gott in all seinem Wirken gerecht, und weder Bittgebete noch dogmatische Beschlüsse werden Gott beeinflussen und davon abhalten, Gerechtigkeit geschehen zu lassen. In diesem Zusammenhang riet Jesus in der Bergpredigt: „Widersetzt euch nicht dem Bösen!“ (Matth. 5,39). Schlagt nicht zurück, zahlt es dem Übeltäter nicht heim, sondern überlasst das Gott, denn Gott waltet seines Amtes und weiß genau, was zu tun ist. Wenn man sich jedoch im Schmerz zu einer inadäquaten Handlung hinreißen lässt, kann es sein, dass man dadurch die Rückwirkung einer weit zurückliegenden Ursache in ihrem Ablauf behindert und sogar neue Ursachen für leidvolle Rückwirkungen setzt.

Unglaubwürdige Widersprüche

Nun fragt es sich, warum angebliche spirituelle und religiöse Führer die Gläubigen mit verkehrten Dogmen und Lehrsätzen in die Irre führen. Der Grund ist einfach: Sie wissen nicht über die Grundlagen der Spiritualität Bescheid. Ihr einziges Motiv ist, die Schäfchen in ihrer Herde zu behalten. Und das veranlasst sie dazu, Dinge zu lehren, die im Widerspruch zu den unwandelbaren Geboten und zu den heiligen Schriften stehen.

Zum religiösen Brauchtum des Islam gehört z. B. das Tieropfer (Qurban). Zum viertägigen Opferfest (Id ul-adha) werden unzählige Schafe, Ziegen und andere Tiere im Namen Gottes mit so unglaublicher Grausamkeit getötet, dass man es eigentlich nicht hinnehmen kann. Ebenso blutige Tieropfer gibt es auch im Hinduismus: Ziegen, Hühner und Büffel sollen mit ihrem Blut die Göttin Kali gnädig stimmen. Ähnlich folgenschwere Missverständnisse und Fehlinterpretationen gibt es im Christentum, etwa in Bezug auf die Auferstehung Jesu oder die Jungfrauengeburt. Diese spirituellen Konzepte – auch das von Qurban oder Opfer – haben eine tiefgründige Bedeutung, aber wenn man diese nicht kennt, wird man sie eigenwillig und falsch auslegen.

Kein Platz für blinden Glauben

Die verkehrte Auslegung von religiös- spirituellen Zusammenhängen führt oft genug dazu, dass die Menschen sich von Spiritualität und Religion insgesamt abwenden; manche machen sich sogar darüber lustig. Denn die Religionslehrer können ihnen nicht erklären, warum solche unlogischen, widersprüchlichen Lehren und Praktiken Bestandteil von Religion sein sollen. Nehmen wir z. B. die Frage: Wie kann Gott barmherzig sein, wenn er so grausam von den Menschen verlangt, in seinem Namen Tiere zu töten? Angesichts derart gravierender Widersprüche schwindet der Glaube natürlich dahin – und dann fordert man die Menschen dazu auf, blind an diese Widersprüchlichkeiten zu glauben.

Blinder Glaube hat jedoch keinen Platz in Religion oder Spiritualität. Nur der überzeugte Glaube, der aus eigenem Sehen und Erleben geboren ist, zählt. Für den spirituellen Pfad zu Gott gilt von Anfang an: Glaube nichts, wenn du nicht die Chance und Möglichkeit hast, es zu überprüfen. Erst sehen, dann glauben. Durch den blinden Glauben wird man garantiert in die Irre geführt. Weil man Dinge akzeptiert und befolgt, die widersprüchlich und unlogisch sind. Weil man davon ausgeht, dass Gott sich widersprüchlich verhält und sich nicht an seine eigenen Regeln hält. Weil man annimmt, dass Gott sich durch Gebete umstimmen und von seiner Gerechtigkeit abbringen lässt.

Das Unvermeidliche annehmen

Einmal, als die heilige Rabia von Basra schwerkrank zuhause lag, kam ein Nachbar vorbei und wollte sie trösten. „Bete doch zu Gott, er möge dich wieder gesund machen“, sagte er. „Warum sollte ich zu Gott beten?“, fragte Rabia zurück. „Gott weiß doch, dass ich krank bin. Er hat mir diese Krankheit geschickt. Warum sollte ich mich weigern, sie anzunehmen, und ihn bitten, diese Krankheit wieder zurückzunehmen? All diese Ausführungen vermitteln einen sehr wichtigen Grundsatz der Spiritualität: Gott tut nichts und verfügt nichts, das seinen eigenen Regeln widerspricht. Aber können wir das beherzigen oder werden wir weiterhin an Gott appellieren, er möge doch Schwierigkeiten von uns abwenden und die Dinge nach unseren Wünschen fügen? Oder haben wir, wie Rabia, das Vertrauen in Gott, dass er uns nicht nur die Schwierigkeiten schickt, sondern uns gleichzeitig die Kraft gibt, sie zu überstehen?

Soami Divyanand

FOTO: Thinkstock

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