Die Seele wird leichter und glücklicher, je mehr sie von ihren karmischen Belastungen befreit wird. Denn unsere persönliche Vergangenheit beeinflusst immer unsere Gegenwart und Zukunft.
Bereits in den 1970er Jahren stellten die beiden Ärzte Elisabeth Kübler-Ross und Raymond Moody gleichzeitig und unabhängig voneinander eine Sammlung von Interviews mit Sterbenden zusammen, in denen diese von Erfahrungen außerhalb ihres Körpers – im „Jenseits“ – berichteten. Seitdem ist das öffentliche Interesse am Phänomen Nahtod (engl. near death experience, NDE) und die Sensibilität dafür stetig gewachsen. Trotz vieler äußerer Unterschiede, z. B. religiöser und kultureller Hintergrund und Bildungsniveau der Betroffenen oder medizinische „Todes“-Ursache, weisen die NDE-Berichte große Übereinstimmungen auf. Für Meditierende mit mystischen Erfahrungen haben solche Nahtod-Berichte nichts Sensationelles, da sie von derselben körperlosen Existenz der Seele zeugen, die sie – bei völliger körperlicher Unversehrtheit – täglich in der Meditation machen können.
Das Geräusch
Beim Austritt aus dem Körper hört die Mehrzahl der NDE-Patienten übermächtige Geräusche in ihrem Kopf – ein lautes Dröhnen, Knacken, Brausen, Krachen, Pfeifen. Andere dagegen beschreiben angenehme, erfreuliche Klänge: „(Da war) immer so etwas wie ein vom Wind herüber getragenes, aus weiter Ferne kommendes Glockenläuten“ oder: „Auf einmal hörte ich Musik, eine majestätische, ergreifende, wirklich wunderschöne Musik.“ Kommentar: Es gibt zwei verschiedene Arten von spirituellen Klängen, die in der Meditation wie auch beim NDE zu hören sind. Beide gehen von Gott aus und erfüllen unterschiedliche Funktionen: Die einen kontrollieren das Bewusstsein und hindern es daran, sich Gegenständen zuzuwenden, die den spirituellen Fortschritt bremsen. Die anderen lenken mit ihrer faszinierenden Schönheit die Aufmerksamkeit auf Gott. Diese freundlichen Klänge – in der mystischen Literatur als „Sphärenmusik“ bekannt – dienen dazu, die Seele in der Meditation und auch beim Tod über das körperliche Bewusstsein zu erheben.
Der dunkle Tunnel
Das „Geräusch“ bzw. der Klang zieht das Bewusstsein durch eine Art Korridor, der als schwarzer Tunnel, Höhle, Rinne, Leere, Schacht, Zylinder oder auch Tal beschrieben wird: „Da hatte ich den Eindruck, dass ich mich durch ein tief eingeschnittenes, sehr dunkles Tal bewegte.“ Oder: „Ich fand mich auf einmal in einem Tunnel wieder – einem aus konzentrischen Kreisen bestehenden Tunnel.“ Kommentar: Denselben Weg nimmt das Bewusstsein in der Meditation, sobald es den Körper durch die „enge Pforte“ (Matthäus 7,13) am Dritten Auge verlässt. Dieser Zugang zu den geistigen Ebenen des Kosmos wird auch als „zehnte Tür“ bezeichnet, da sie über den neun „Sinnespforten“ (Körperöffnungen) liegt, die uns mit der materiellen Welt verbinden.
Jenseits des Körpers
Nach dem Durchqueren des Tunnels empfinden sich die Patienten fast ausnahmslos so, als würden sie plötzlich schweben und die Vorgänge um ihren leblosen Körper von außen beobachten. Das Einschneidendste dabei ist die Erkenntnis, dass sie selbst als vollkommen intaktes Bewusstsein völlig unabhängig von ihrem Leib existieren. Kommentar: Dieses Erlebnis ist deshalb so eindrücklich, weil wir uns normalerweise völlig mit unserer physischen Person gleichsetzen. Dass wir aber keineswegs auf diese Ebene der Existenz begrenzt sind, können wir auch schon zu Lebzeiten erfahren, wenn wir lernen, uns in der Meditation willentlich vom Körper zu lösen.
Der Geist-Körper
Übereinstimmend bezeugen die Betroffenen, dass ihr Bewusstsein außerhalb des Körpers dieselbe Identität hat wie im verkörperten Zustand, nur dass es wesentlich rascher, klarer und uneingeschränkter funktionierte. Auch befanden sie sich nach dem Tod immer noch in einem Körper, einer Art Geistkörper, der wie ein Nebel, eine Wolke, ein Dunst aussah. Dieser Körper ist schwerelos und seine „Sinne“ funktionieren durch die Gedankenkraft, was ebenfalls für die Fortbewegung gilt. Kommentar: Diese Schilderungen des Geistleibes bestätigen unser Wissen über Karma und Wiedergeburt: Alles, was der Mensch tut, sagt und denkt, liegt, die uns mit der materiellen Welt verbinden.
Geistige Seelenführer
Zwar besitzen die NDE-Patienten eine geschärfte Wahrnehmung und bekommen alles, was in der physischen Welt gesprochen wird, auf telepathischem Wege mit, doch können sie sich ihrerseits in keiner Weise mitteilen. Sie sind buchstäblich Luft für andere. Für die meisten Patienten ist diese Abgeschiedenheit mit einem Gefühl beglückender und friedvoller Stille verbunden. Andere NDE-Patienten stürzt die Erkenntnis, tot und völlig isoliert zu sein, jedoch in große Orientierungslosigkeit: „Ich konnte mir das Ganze einfach nicht erklären. Ich dachte nur in einem fort: Wohin soll ich bloß gehen? Was soll ich denn bloß machen?“
Kommentar: Das Beispiel dieser NDE-Zeugen zeigt die Notwendigkeit einer geistigen Wegbegleitung, wenn das Bewusstsein seiner gewohnten Umgebung in Raum und Zeit enthoben ist. Dies gilt umso mehr, wenn sich die Seele in der Meditation in die höheren geistigen Regionen begibt. Dort braucht sie den Beistand und die Führung eines erfahrenen Begleiters, der bereits die mystische Vereinigung mit Gott verwirklicht hat und sich daher jederzeit frei in den jenseitigen Regionen bewegen kann. Die Verbindung zu solchen Menschen, die von Gott beauftragt sind, andere Seelen auf dem spirituellen Pfad zu führen, muss aber schon zu physischen Lebzeiten beider Beteiligten aufgenommen werden.
Solche Seelenführer leisten in der Todesstunde echte Sterbebegleitung: Der Seelenführer erscheint dem Sterbenden schon, bevor er den Körper verlässt, was den Loslösungsprozess erheblich erleichtert. Seelen, die in der Meditation schon fortgeschritten sind, werden dabei so sehr in die göttliche Musik eingehüllt, dass ihnen das Abstreifen der sterblichen Hülle zu einer Freude wird, weil damit auch der letzte Trennungsgrund von Gott entfällt. Diese spirituelle Sterbebegleitung endet nicht beim Eintritt des physischen Todes, sondern schließt den gesamten jenseitigen Weg der Seele mit ein – bis zur endgültigen Verschmelzung mit Gott, oder aber bis ur nächsten Wiederverkörperung.
Das Lichtwesen
Nach dem Durchqueren des Tunnels leuchtet den Nahtod-Patienten ein sehr helles Licht auf, das sie wie ein Magnet zu sich zieht. Ohne Ausnahme nehmen sie dieses Licht als eine Gegenwart mit personalem Charakter wahr, die durch eine „unbeschreibliche“ Liebe und Wärme gekennzeichnet ist. Das Bewusstsein fühlt sich von ihm vollkommen bejaht und eingehüllt. Vor diesem Wesen lässt sich nichts verbergen, da „es schon alles weiß“. Sobald dieses Lichtwesen das Bewusstsein in seinen Bann gezogen hat, beginnt es, sich mit ihm durch Gedankenübertragung zu verständigen. Dabei stellt es dem Bewusstsein Fragen etwa folgender Art: „Bist du darauf vorbereitet zu sterben? Was hast du mit deinem Leben angefangen, das bestehen kann?“ Kommentar: Alle NDE-Berichte bezeugen, was wir aus den Berichten von Mystikern über Gottesoffenbarungen wissen: Sie sind nicht bloß irgendwelche Licht- und Klangphänomene, sondern übertragen Gottes Attribute – allumfassende Liebe und Allwissenheit – auf das Bewusstsein und geben den Menschen in allen Lebenslagen göttliche Führung.
Die Lebens-Rückschau
Den letzten Abschnitt der Nahtod-Erfahrung bildet der Lebensrückblick, den das Lichtwesen enthüllt. Aber auch Zeugen, die kein Licht sahen, erlebten ihr gesamtes Leben wie in einem Film an sich vorüberziehen. Dabei wird ihnen – auch die Wertung des Erlebten vermittelt, die sich nach der Liebe und der Sinnhaftigkeit ihres Handelns richtet. Dies geschieht so zwingend, dass nicht der geringste Raum für Selbstbetrug oder Ausflüchte bleibt. Kommentar: Dieser Lebensrückblick ist ein Bestandteil des so genannten „Jüngsten Gerichts“. Statt eines unerbittlichen Richters erscheint jedoch Gott selbst in der Gestalt von Licht und hüllt die Seele so in seine Liebe ein, dass sie sich angesichts ihrer Verfehlungen geliebt und angenommen fühlt. Das „Gericht“ wird so zu einem Instrument der Unterweisung und Selbsterkenntnis (und nicht der Verdammung). Nahtod-Patienten kehren an diesem Grenzpunkt in ihr physisches Leben zurück. Anders beim endgültigen Tod: Der Lebensrückblick enthält Schlüsselerlebnisse, die mit zentralen Wünschen und Vorlieben des Betreffenden zu tun haben. Angesichts dieser Szenen tauchen diese Neigungen erneut in ihm auf. Ihre Richtung entscheidet nun über die Gestalt, in der die Seele wiedergeboren wird. Dies ist der zweite Teil des „Gerichts“.
Rückkehr und Reinkarnation
Viele Nahtod-Patienten haben nach dem Lebensrückblick das Gefühl, noch zu viele „unerledigte Geschäfte“ zu haben, um guten Gewissens sterben zu können, und verbinden sich wieder mit ihrem bisherigen Körper. Nach dem endgültigen Tod ist es ähnlich: Die weltlichen Eindrücke, die den Kausalleib bilden, ziehen das Bewusstsein unweigerlich wieder in die diesseitige Welt, wo sie sofort zur Wiederverkörperung führen. Nur wenn der Mensch während des diesseitigen Lebens den Zugang zu den geistigen Regionen findet und sich mit Gott in seinen manifesten Formen verbindet, kann er diesem Kreislauf von Geburt und Tod entkommen und für immer zu Gott zurückkehren.
Soami Divyanand (1932 – 2014)
Meister des Surat-Shabd-Yoga, lehrte
mehr als 35 Jahre lang den spirituellen
Pfad des inneren Lichtes und Klangs.
Veden-Übersetzer und Autor zahlreicher
Bücher.
- Details