Magazin Visionen - Einfach. Besser. Leben.

Zugegeben, es ist schwer, über den Tod zu sprechen, erst recht wenn es um einen geliebten Menschen geht.

Dennoch wollen Kinder und Jugendliche auf ihre Fragen, was mit Opa geschehen ist oder gar was sie selbst am Ende einer Krankheit erwartet, nicht mit Ausflüchten oder vagen Geschichten abgespeist werden. Oft wissen Erwachsene selbst nicht so genau Bescheid, oder sie fühlen sich in ihrer eigenen Angst und Trauer überfordert und können einfach nicht kindgerecht auf solche Fragen eingehen. Auf der Grundlage seiner langjährigen Praxis mit sterbenden und wiederbelebten Menschen hat der französische Notfallmediziner Jean-Jacques Charbonier ein (Vorlese-)Buch für junge Menschen geschrieben. Behutsam, aber offen und schnörkellos erklärt er für Kinder und Jugendliche (aber auch Erwachsene), was beim Sterben geschieht. Und vermittelt ihnen die tief beruhigende Gewissheit, dass das Leben im Augenblick des Todes nicht endet, sondern sich in einer anderen Dimension fortsetzt. – VISIONEN präsentiert Ihnen hier eine kleine Leseprobe:

Körper und Geist

Du solltest zunächst wissen, dass du Geist bist, der in einem Körper „wohnt“. Ich höre schon deine Frage. Du willst wissen: „Was ist der Geist?“ Also, ich werde dir antworten: Das bist du! Ja, du. Dein wahres Wesen. Du bist nicht dein Körper; du bewohnst ihn. Das ist ein Unterschied.

Dein Körper verändert sich. Er wird größer, dicker, älter. Er kann manchmal beschädigt sein, wenn er krank oder verunglückt ist. Am Ende seines Lebens verschwindet er; im Moment des Todes.

Dein Geist verändert sich auch, aber nicht auf die gleiche Art. Er macht immerzu Erfahrungen und Fortschritte. Wie in der Schule. Aber in dieser Schule des Lebens zählt am meisten, dass du lernst, dich selbst und deine Mitmenschen genauso wie dich selbst zu lieben. Im Gegensatz zu deinem Körper nutzt sich dein Geist nicht ab durch Alter, Krankheit oder Unfälle. Im Gegenteil, er wird von den Prüfungen des Lebens bereichert. Je mehr ein Geist schwierige Dinge überstehen muss, umso stärker und größer wird er. Je komplizierter die zu lösenden Prüfungen sind, umso mehr verbessert er sich. Und vor allem, ja vor allem, im Unterschied zum Körper stirbt der Geist niemals. Du weißt, du existierst dank deines Geistes. Du denkst, du überlegst, du hast gute oder schlechte Gedanken dank deines Geistes.

Der Geist ist wie der Fahrer eines Autos; er lenkt deinen Körper. Der Körper ist das Fahrzeug deines Geistes. Verstehst du das? (…) Wir müssen unseren Körper pflegen, wie es der Autofahrer mit seinem Wagen macht, damit er eine große Zahl an Kilometern im bestmöglichen Zustand zurücklegen kann. Wir müssen ihm zu essen und zu trinken geben, ihn waschen, vor Kälte und Hitze schützen, zum Arzt gehen, wenn er krank ist, und versuchen, ihn nicht zu verbeulen.

Ich weiß, was ich gerade sage, bringt dich zum Lachen. Sich deinen Körper verbeult vorzustellen wie eine Konservendose, bringt dich zum Lachen und es ist dein Geist, der dich lachen lässt. Der Geist liebt das Lachen. Er hat Humor. (…)

Man muss nicht unglücklich sein, wenn der Körper einen Schaden hat oder alt wird, denn der Geist, der ihn lenkt, bleibt intakt, was auch immer geschieht. Hier möchte ich dich auf etwas aufmerksam machen. Es gibt gelegentlich schöne Autos mit schlimmen Fahrern und umgekehrt hässliche Autos mit sehr schönen Fahrern. Hast du das schon bemerkt? Das ist genau das Gleiche für Geist und Körper. Es zeigt uns, dass man sich nicht auf das äußere Erscheinungsbild verlassen soll! Du wirst in deinem Leben sehr schönen Menschen begegnen in sehr hässlichen Körpern und sehr schlimmen in wunderschönen Körpern. Du kannst auch Menschen begegnen mit einem schönen Geist in einem prachtvollen Körper, aber das ist viel seltener, leider. (…)

Der Geist macht Erfahrungen

Ich habe dir vorhin genau erklärt, dass der Geist durch alle Lebenserfahrungen bereichert wird. Du kannst also leicht daraus schließen, dass ein sehr alter Geist am meisten entwickelt ist. Das stimmt.

Du kannst trotzdem auf alte Menschen treffen, die genau die Eigenschaften zu haben scheinen wie sehr kleine Kinder; sie sagen Unsinniges, erinnern sich an nichts und müssen manchmal Windeln tragen, weil sie ihr Pipi nicht halten können. Das bedeutet nicht, dass ihr Geist weniger entwickelt ist als deiner oder meiner. Nein, überhaupt nicht! Es bedeutet, dass das Gehirn von diesen Menschen mit einer Behinderung krank ist und dass sie nicht mehr erkennen, was sie wahrnehmen, und ihr Leben nicht mehr im Griff haben. Der Geist dieser Menschen ist wie ein Autofahrer, der versucht sein Auto zu fahren, ohne dass es ihm gelingt. Er betätigt den Anlasser, aber der Motor bockt und zeigt nicht das erwartete Ergebnis.

Falls du eines Tages Menschen mit einem solchen Problem begegnest, solltest du ganz normal mit ihnen sprechen, als könnten sie alles verstehen. Ihr Gehirn ist nicht fähig zu hören, was du ihnen sagst, oder zu reagieren, aber ihr Geist kann es, ja, da kannst du dir sicher sein.

So ist es auch bei Kranken, die im Koma liegen; ihr Geist hat den Körper verlassen, ist ihm aber noch so nah, dass er imstande ist, alle deine Sätze und auch die Gedanken wahrzunehmen, die an ihn gerichtet sind. Oh ja, ein Geist kann außerhalb seines Körpers alle unsere Gedanken hören! Das ist noch erstaunlicher, oder?

Ich werde dir jetzt eine Geschichte erzählen, die das sehr gut erläutert: An jenem Tag besuchte ich einen meiner Patienten, dessen Herz einige Minuten lang stillstand. Dieser ältere Mann hat bereits den Tod kennengelernt. Er schilderte mir, dass er in dem Moment, in dem ich ihn reanimierte, alles was ich tat sehr gut sah. Dieser Mann war in der Lage, meine Bewegungen in allen Einzelheiten zu beschreiben, ohne den geringsten Irrtum, und er konnte mir sogar sagen, was ich in genau diesem Augenblick dachte; er wiederholte Wort für Wort den Satz, der mir durch den Kopf ging, während ich mich um ihn kümmerte: „Ich werde ihn verlieren, ich werde ihn verlieren!“ Ist dir klar, was der Geist im Moment des Todes machen kann? Fantastisch, nicht wahr?

DAS BUCH
Dr. Jean-Jacques Charbonier: Wenn Dein Kind über den Tod sprechen will. Wie wir Kindern Trauer und Abschiednehmen erklären. Verlag Via Nova, Novmber 2018. Euro 14,95 (D), ISBN 978-3-86616-448-2

Dr. Jean-Jacques Charbonier ist seit mehr als 25 Jahren Anästhesist und Notfallmediziner. Er ist Autor mehrerer Bücher über veränderte Bewusstseinszustände und Nahtoderfahrungen.

Foto(s): gettyimages

Visionen Newsletter abonnieren

Herzlich willkommen bei VISIONEN!

Bewusst & nachhaltig gelebtes Leben im Hier und Jetzt liegt uns am Herzen, das möchten wir mit Dir teilen.

Als Dankeschön für Dein Interesse an unserem Newsletter schenken wir Dir € 5.- im visionen-shop

€ 5,-
Gutschein

nach oben