Was ist Sauberes Fleisch? Unter dem Begriff „Clean Meat“ bzw. „Sauberes Fleisch“ versteht man Fleisch, das außerhalb der Tiere hergestellt wird.
Die Produzenten von Sauberem Fleisch vergleichen die Herstellung oder das Züchten von Fleisch im Labor mit dem Prozess des Bierbrauens. Denn nachdem die Tierzellen im Labor aufbereitet worden sind, wachsen sie bei optimalen Bedingungen in Behältern, die den Tanks der Bierbrauereien ähneln, zu Fleisch heran.
Iss Fleisch, nicht die Tiere!
Den Möglichkeiten der Fleischzucht ohne Tiere sind keine Grenzen gesetzt. Ob Steaks (Muskelfleisch), Entenbrust oder Enten-Pâté, Hühnerbrust, Thunfisch oder einfach nur einen Hamburger: Alles fängt mit einer spezifischen Tierzelle an, entweder einer Muskelzelle oder einer Stammzelle. Außer Fleisch werden auch Leder, Seide und die begehrte Nashorn- und Elefantenhörner aus einer einzigen Zelle hergestellt.
Neben diesem Herstellungsverfahren, as als Zellulare Agrikultur (Zell-Technik) bezeichnet wird, gibt es auch die A-zellulare Agrikultur (Fermentation), mit der seit neuem Milch ohne „muh“ und Eier ohne Huhn hergestellt werden. Bei diesen Produkten erledigen Bakterien und Pilze die Arbeit, ähnlich wie bei der Labherstellung für Käse oder der Insulinherstellung für Diabetiker.
Wurden anfangs für die Fleischproduktion noch tierische Fleischzellen verwendet, fand man auf Druck von Tierschützern schnell eine Alternative. Die Firma „Just“ stellt seitdem ihr Geflügelfleisch aus einer Stammzelle her, die an der Basis einer Hühnerfeder entnommen wurde, nachdem das Huhn die Feder auf natürliche Weise in der Wiese verloren hat.
Pioniere in der Forschung
Dass es überhaupt zu sauberem Fleisch gekommen ist, verdanken wir dem niederländischen Forscher Willem van Eelen, der nach traumatischen Erfahrungen und zufälligen Ereignissen plötzlich die Lösung für viele umweltzerstörende Probleme vor Augen sah: richtiges Fleisch, aber dann ohne die Tiere. Getrieben von dem schrecklichen Tierleiden in der Nutztierwirtschaft und der Umweltzerstörung fing anfangs dieses Jahrhunderts eine kleine Gruppe junger Menschen an, sich für „Fleisch ohne die Tiere“ zu interessieren. Es wurde wild im Internet gesurft und einzelne Artikel von damals noch unbekannten Forschern brachten Hoffnung und Licht in die Herzen der Suchenden. Der große Durchbruch kam 2013, als Mark Post, ein niederländischer Forscher an der Universität Maastricht, als Erster aus Kulturfleisch gezüchtete Hamburger in London der Weltöffentlichkeit vorstellte. Der Preis betrug damals 330.000 US-Dollar pro Hamburger.
Nach dieser Präsentation horchte die Welt auf, und die Fronten teilten sich. Die Gegner (vor allem Fleischlobbyisten) nannten den ersten Burger „Frankenburger“ oder „Schmeisch“ (schmeat) statt Fleisch (meat). Die junge zahlenmäßig wachsende Forschergemeinschaft war begeistert. Viele neue Ideen schwirrten durch die grauen Zellen der Studenten. Über Internet traf man sich, um die Ideen ausreifen zu lassen.
Als dann die ersten Start-ups gegründet wurden, dauerte es nicht lange, bis das erste Kapital durch einflussreiche Finanziers floss. In vielen Schichten der Gesellschaft hatte man den Vorteil von Kulturfleisch gegenüber konventioneller Tiermasthaltung, im Hinblick auf Tierleid und Umwelt, erkannt.
Harte Zahlen
Bei einer stetig wachsenden Menschheit und reicher werdenden Drittweltländern wird sich der Fleischkonsum bis 2050 verdoppeln. Willem van Eelen hatte Jahre zuvor berechnet, dass, wenn alle Chinesen anfangen würden, Fleisch zu essen, wir 4 Planeten für den Anbau der benötigten Tiernahrung bräuchten. Und wer könnte den Chinesen verbieten, Fleisch zu essen?
Etwa 70% der landwirtschaftlichen Flächen werden heute für den Anbau von Tierfutter verwendet, bei einer aktuellen Zahl von einer Milliarde Rindern. Stellen Sie sich nun vor, was passieren wird, wenn diese Zahl sich bis 2050 verdoppelt. Es ist nicht genügend Land und Wasser vorhanden und dem Ökosystem drohen irreversible Schäden. Laut UN-Berichten sind für die Zucht von einem Kilo Rindfleisch fast 16.000 Liter Wasser erforderlich und etwa 18 % der Treibhausgase werden von Tieren erzeugt, 40 % Methan und 60 % Stickstoffoxid, die 25- bzw. 60-mal schädlicher sind als CO2.
Allein in den USA werden aktuell 35 Millionen Rinder und neun Milliarden Hühner jährlich zu Essenszwecken geschlachtet. Rechnet man die Puten dazu, verenden in den Schlachtöfen jede Sekunde rund um die Uhr an jedem Tag fast 300 Vögel. Wenn man die Aquakultur mit in die Massentierhaltung einbezieht, übertreffen die Fische sogar die Hühner.
Der Name muss stimmen
Zuchtfleisch, Laborfleisch oder Sauberes Fleisch? Für eine gute Verbraucher-Akzeptanz musste für das Laborfleisch einmöglichst natürlich klingender Name her.Nach vielen Umfragen einigte man sich aufClean Meat (Sauberes Fleisch), denn der Unterschied zu „normalem“ Fleisch, so argumentierte man, besteht darin, dass das Kulturfleisch wirklich viel sauberer ist als das herkömmliche Fleisch. Kulturfleisch enthält keine Rückstände von Antibiotikaoder von Hormonen. Dabei ist es klinisch sauber und man findet keine Kolibakterien oder Salmonellen auf dem frischen Fleisch, wie sie bei konventionellem Fleisch in den Gefriertruhen oft nachgewiesen werden können.
Hat Clean Meat eine Chance?
Addieren wir die Seuchen der letzten Jahre, wie die Schweine- und Vogelgrippe und BSE, und die regelmäßig ans Tageslicht tretenden Skandale aus der Nahrungsindustrie mit dem Tierleiden und der Umweltverschmutzung durch die Tiermastbetriebe, dann kippt die Waage doch schnell zum Vorteil von sauberem Fleisch.
Die Verwirklichung von Clean Meat kann eine Zukunft bedeuten, in der Antibiotika hauptsächlich der Humanmedizin vorbehalten sind, statt als regulärer Futtermittelzusatz den Nutztieren verabreicht zu werden. Eine Zukunft, in der Fleisch weitaus freier von gefährlichen Bakterienkontaminierungen ist und in der die Nutztierwirtschaft nur noch einen kleinen Bruchteil der heutigen Umweltschäden verursacht. In der Weiden und riesige Mais- und Sojafelder wieder zu Wäldern und Feuchtgebieten werden und Schlachthöfe Fleischbrauereien weichen.
Vielleicht werden wir bald Fleisch, Eier, Milch und Leder ohne die nagenden Schuldgefühle genießen können, die viele von uns heute plagen, wenn wir an das Leben und Sterben der Tiere denken, deren Schicksal es ist, zu Essen und Kleidung zu werden.
Die Unternehmen der zellularen Agrikultur haben letztendlich alle die gleichen Ziele. Sie gehen das Problem der Nutztierwirtschaft unterschiedlich an. Jeder der Start-ups ist davon überzeugt, dass sein bestimmter Schwerpunkt wichtig und vielversprechend ist. Jeder hat die Vision, die zellulare Agrikultur zu nutzen, um effizient, nachhaltig und human eine wachsende Weltbevölkerung ernähren zu helfen. Ihr Ziel, eine Welt, in der Fleisch und andere Tierprodukte ohne das Tierleiden hergestellt werden, ist eine ehrgeizige Vision, doch haben wir nicht alle eine ähnliche Vision?
Paul Shapiro, Gründer der US-amerikanischen Tierschutzorganisation „Compassion Over Killing“, Co-Direktor der „Humane Society of the United States“ (Bereich Tierschutz und Nutztierhaltung) und seit 2008 Mitglied der „Animal Rights Hall of Fame“. Er hat zahlreiche Artikel über Tierrechte und Tierschutz veröffentlicht.
Weitere Infos und Kontakt unter
www.paul-shapiro.com.