Magazin Visionen - Einfach. Besser. Leben.

Der Dialog der Religionen lahmt seit Jahren, Vorurteile und gegenseitige Ablehnung sind auf dem Vormarsch. Verständnis für den Anders- und Nichtgläubigen ist Mangelware. Was verbindet uns überhaupt noch?

Leben, Licht und Liebe – das sind die drei Erscheinungsformen des Höchsten Ursprungs von allem Existierenden. Darin sind sich alle Religionen, alle spirituellen Traditionen einig. Diese wesentlichen Attribute der Gottheit, die eine ist, auch wenn die Propheten und Menschen der Welt sie unterschiedlich bezeichnen, sind auch in die Urform jedes empfindenden Wesens eingewirkt. Es ist dieses weite Meer von Liebe, Licht und Leben, in dem wir leben, unser Wahres Sein haben und uns bewegen. Und dennoch kennen wir, wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser, diese Wahrheit nicht und noch weniger setzen wir sie in unserem täglichen Leben um. Daher die unendliche Angst, Hilflosigkeit und Not, die wir überall um uns herum in der Welt sehen.

Liebe ist der Massstab

Die Liebe ist der einzige Prüfstein, um festzustellen, wie weit wir die beiden Prinzipien des Lebens und Lichts in uns verstehen und auch wie weit wir auf dem Pfad der Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis bereits gekommen sind. Gott ist Liebe, und die Seele im Menschen ist ein Funken dieser Liebe, und Liebe ist wiederum das Bindeglied zwischen Gott und dem Menschen einerseits und zwischen dem Menschen und Gottes Schöpfung andererseits. Darum heißt es: „Wer nicht liebt, kennt Gott nicht; denn Gott ist Liebe.“

Alle Propheten, alle Religionen und alle Schriften hängen an zwei Geboten: „Du sollst lieben den Herrn, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Gemüt.“ Dies ist das erste und größte Gebot. Und das zweite ist ihm gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Über die Einstellung unseren Feinden gegenüber befragt, sagte Christus: „Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“

Lasst uns mit dem Maßstab der Liebe, dem wahren Wesen von Gottes Sein, unsere Herzen prüfen. Ist unser Leben ein Aufblühen von Gottes Liebe? Sind wir bereit, einander in Liebe zu dienen? Halten wir unsere Herzen offen für die gesunden Ideen, die von außen kommen? Sind wir geduldig und tolerant gegenüber jenen, die anders sind als wir? Dehnen sich unsere Herzen aus mit der Schöpfung Gottes, sind wir bereit, die Gesamtheit Seines Seins zu umfassen? Bluten wir innerlich beim Anblick der Niedergeschlagenen und Bedrückten? Quälen uns die Qualen anderer? Beten wir für die kranke und leidende Menschheit? Wenn wir nichts von alledem tun, sind wir noch weit entfernt von Gott und der Religion, ganz gleich, wie hochtrabend und fromm unsere Beteuerungen klingen.

Wie innen, so außen

Bei all unserem Verlangen nach Frieden haben wir versagt und hoffnungslos versäumt, der Sache von Gottes Frieden auf Erden zu dienen. Ziel und Mittel sind miteinander verknüpft, sie können nicht voneinander getrennt werden. Wir können keinen Frieden finden, solange wir ihn mit kriegsähnlichen Mitteln und mit Waffen der Zerstörung und Vernichtung zu erreichen suchen.

Mit dem Keim des Hasses in unseren Herzen – Vorurteile aufgrund von Abstammung, Herkunft und Hautfarbe, Gedanken politischer Macht und wirtschaftlicher Ausbeutung – arbeiten wir am Untergang des sozialen Gefüges, das wir so mühsam aufgebaut haben, statt für den Frieden unter den Menschen. Einen lebendigen Frieden, der aus gegenseitiger Liebe und Achtung geboren wird. Vertrauen und Eintracht hätten die Kraft, die Lage der Menschheit zu verbessern und die Erde in ein Paradies zu verwandeln, aber mit zunehmendem technologischem Fortschritt rückt diese Möglichkeit immer mehr in weite Ferne.

Wo liegt dann das Heilmittel? Ist die Krankheit gänzlich unheilbar? Nein, so ist es nicht. „Das Leben und das Licht Gottes“ sind noch da, um uns zu helfen und uns in der Wildnis zu führen. Wir sehen diese Wildnis rund um uns herum, weil wir im Innersten unseres Herzens verwirrt sind und die Dinge nicht in ihrer richtigen Perspektive sehen. Die große äußere Welt ist nichts als eine Widerspiegelung unserer eigenen kleinen inneren Welt. Die Saaten der Uneinigkeit und Disharmonie im Grund unseres eigenen Gemüts tragen Frucht in und um uns, und zwar reichlich. Wir sind, was wir denken, und wir sehen die Welt durch die rauchgeschwärzten Gläser, die wir selbst ausgewählt haben. Das beweist einmal mehr, dass wir „das Leben und Licht Gottes“ in uns noch nicht erkannt und noch weniger „Gott im Menschen“ verwirklicht haben.

An der Peripherie

Wir haben uns im Spiel des Lebens vom Zentrum entfernt. Wir spielen es nur an der Peripherie und sind niemals in die tiefsten Wasser des Lebens im Zentrum – in unserem eigenen Innern – eingetaucht. Deshalb finden wir uns dauernd im Strudel des wirbelnden Wassers an der Oberf läche gehalten.

In Wahrheit ist das Leben an der Peripherie unseres Seins nicht verschieden vom Leben am Zentrum unseres Seins. Die beiden sind in Wirklichkeit identisch, sehen jedoch verschieden aus, wenn das eine vom anderen getrennt ist. Daher das befremdende Paradoxon, dass das physische Leben, obwohl eine Offenbarung Gottes, voller Mühe und Unruhe, Sturm und Ungestüm, Zerstreuung und Zerrissenheit ist. In unserer Begeisterung und dem Hunger auf das äußere Leben auf dem Sinnenplan sind wir zu weit von unserem Mittelpunkt abgeirrt, nein, wir haben ihn gänzlich aus den Augen verloren und, noch schlimmer, wir sind von den Verankerungen unseres Schiffes abgeschnitten, und so ist es kein Wunder, dass wir auf dem Meer des Lebens hilflos hin- und hergeworfen werden. Ohne Steuer und ohne einen Kompass, der uns den Kurs anzeigt, sind wir Wind und Wellen ausgeliefert und können die Untiefen, Sandbänke und versunkenen Felsen, mit denen unser Weg gespickt ist, nicht sehen. In dieser schrecklichen Notlage treiben wir auf dem tosenden Strom des Lebens dahin – wohin? Das wissen wir nicht.

Das Licht Gottes erhält alles

Nach alledem ist diese Welt jedoch nicht so schlecht, wie wir annehmen, und kann es auch nicht sein. Denn sie ist in Wahrheit eine Manifestation des Lebensprinzips des Schöpfers und wird durch Sein Licht erhalten. Seine Liebe ist die Grundlage von Allem. Die Welt mit ihren verschiedenen Religionen ist für uns Menschen geschaffen und wir sollten Nutzen daraus ziehen. Alles, was wir tun müssen, ist, die grundlegenden Lebenswahrheiten richtig zu lernen und zu verstehen, die in unseren heiligen Schriften dargelegt sind, und sie unter der Führung eines in Gott lebenden Heiligen gewissenhaft zu praktizieren.

Diese Schriften sind durch Gott-inspirierte Propheten entstanden, und darum können sie uns von einem Gott-berauschten Menschen oder einem Gottmenschen in ihrem wahren Sinn genau ausgelegt werden; er kann uns, indem er die scheinbaren gedanklichen Widersprüche in Einklang bringt, in ihre wahre Bedeutung einweihen und uns schließlich helfen, auf dem Gottespfad im Innern unserer Seele voranzukommen. Ohne eine solch praktische Führung außen und innen sind wir in dem magischen Zauber von Formen und Meinungen gefangen und können unmöglich die spirituellen Wahrheiten erfassen, die unter den verkrusteten Worten aus früheren Zeiten liegen und sich infolge der durch Verordnungen geregelten Formen, Formeln und Formalitäten der herrschenden Klasse versteinert haben.

Der Kern aller Religionen

Jede Religion hat drei Aspekte: erstens den traditionellen, der die Mythen und Legenden für die Laienbrüder enthält; zweitens die auf dem Verstand basierenden philosophischen Abhandlungen, um den Hunger der Intellektuellen zu befriedigen, die sich vor allem theoretisch mit dem Warum und Wofür der Dinge beschäftigen und die ethische Entwicklung, die für das spirituelle Wachstum so immens wichtig ist, betonen; und drittens den esoterischen Teil, den zentralen Kern in jeder Religion, der für die echten Wahrheitssucher bestimmt ist. Dieser letzte Teil bezieht sich auf die persönlichen mystischen Erfahrungen und Anweisungen der Gründer jeder Religion und anderer hochentwickelter Seelen.

Dieser dritte Teil, der als Mystik bezeichnet wird, ist der Kern aller Religionen, der erforscht und für die Praxis und Erfahrung im Herzen verwahrt werden muss. Diese inneren, spirituellen Erfahrungen aller Weisen und Seher sind seit je her gleich. Sie handeln hauptsächlich vom Licht und Leben Gottes – gleichgültig, auf welcher Ebene. Und die Methoden und Mittel zum Erlangen direkter Gotteserfahrungen sind ebenso seit je her gleich. „Religiöse Erfahrung“, sagte Plotin, „liegt darin, die Wahre Heimat während des Exils zu finden.“ Und damit bezog er sich auf die Pilgerschaft der Seele durch die materielle Welt hindurch, für die das Reich Gottes eine verlorene Provinz ist.

Das Licht Gottes erleben

Diese Philosophen haben nichts Neues gesagt. Sie haben nur auf ihre eigene Weise die altehrwürdigen Wahrheiten des Para Vidya, der Wissenschaft vom Höchsten, wiederholt, wie wir sie in kurzer und bündiger Form in allen heiligen Schriften der Welt finden. Zum Beispiel sagt uns die christliche Theologie: „Lerne zu sterben, damit du zu leben beginnen kannst.“ Oder Christus: „Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird‘s finden.“ Der heilige Prophet des Islam spricht von almautu kibal ant-maut, dem „Tod vor dem tatsächlichen Tod“.

So haben wir gesehen, dass das „Licht und Leben Gottes“ den gemeinsamen, einenden Boden bilden, auf dem sich alle Religionen begegnen; und wenn wir diese Rettungsleinen ergreifen würden, könnten wir lebendige Zentren der Spiritualität werden, ganz gleich, welcher Religion wir uns für die Erfüllung unserer sozialen Bedürfnisse und die Entwicklung unseres moralischen Gespürs verbunden fühlen.

 Kirpal Singh

Sant Kirpal Singh (1894–1974) wirkte seit 1948 als spiritueller Meister. Auf seinen Vortragsreisen und als langjähriger Präsident der „Weltgemeinschaft der Religionen“ erwarb er sich im Osten wie im Westen große Achtung und Sympathie.

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Foto(s): unsplash

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