Den roten Faden in der eigenen Vergangenheit entdecken
Welchen Sinn hat unser Leben – gibt es eine persönliche Bestimmung? Antwort auf diese Frage liefert uns die eigene Vergangenheit. Die Vergangenheit macht uns zu dem Menschen, der wir sind. Sie prägt unser gesamtes Wesen, unser Tun und Handeln. Woran wir glauben oder nicht glauben, wem wir vertrauen oder nicht vertrauen. Das ist, was wir wahrnehmen und sehen. Was wir oft vergessen ist die Tatsache, dass das Leben während der ganzen Zeit immer hinter uns steht. Unser Leben hat einen Sinn, ein Ziel und eine Mission. So bekommen wir im Laufe des Lebens entsprechende Herausforderungen, an denen wir wachsen und anhand derer wir Fähigkeiten entwickeln, die wir für unsere Lebensaufgabe benötigen. Wie aber finden wir in unserer Biografie den Sinn für unser Leben und unsere Bestimmung?
Verborgenes wird sichtbar
Von der Geburt bis zum Tod folgen wir unbewusst einem Rhythmus. Der griechische Philosoph Solon (640–560 v. Chr.) hat als Erster die Entwicklung des Menschen in Siebenjahresperioden beschrieben. Rudolf Steiner, Begründer der Anthroposophie, bildete daraus die Biografie-Arbeit. Jede Biografie eines Menschen wird in der BiografieArbeit unter Berücksichtigung der individuellen Einflüsse in der jeweiligen Lebensperiode angesehen. Biografie-Arbeit ermöglicht somit ein ganzheitliches Lebensbild, indem die einzelnen Erfahrungen in einen Gesamtkontext gesetzt werden können.
Die oft verborgenen Talente und Fähigkeiten, wie auch die Aufgabe im Leben werden anhand der Biografie-Arbeit sichtbar und somit zugänglich gemacht. Man bekommt eine positive Sicht auf die eigene Geschichte und somit auf die eigene Person.
Alles falsch gemacht?
Eine Frau mit 74 Jahren hat sich für Biografie-Arbeit entschieden, weil sie mit ihrem Leben unglücklich war. Sie war der Meinung, alles im Leben falsch gemacht zu haben. Sie hat ihre Biografie geschrieben, in mühevoller, emotional sehr aufwühlender Arbeit mit vielen Tränen. Sie war sehr bewegt als sie zum Gespräch kam. Was sie dann über die einzelnen Lebensphasen erfahren hat, hat sie ebenfalls zu Tränen gerührt. Diesmal zu Tränen des Erstaunens, der Freude, der Erleichterung.
Sie hat begriffen, dass alles in ihrem Leben wirklich Sinn hatte, dass alle Entscheidungen, die sie getroffen hatte, genau richtig waren und dass die Vorwürfe gegen sich selber unnötig waren. Am Ende war es, als wären viele schwere Steine von ihrer Seele gefallen. Sie war erleichtert. Heute genießt sie ihr Leben mit ihren Kindern und Enkelkindern. Sie gibt vieles von ihren Erfahrungen und Erkenntnissen weiter. Vor allem aber ist sie dankbar für ihre Geschichte, denn sie hat den Sinn ihres Lebens gefunden. Allein schon die Aufarbeitung der Erinnerungen innerhalb des biografischen Rückblicks, die einer der wertvollsten Bestandteile der Biografie-Arbeit ist, liefert Antworten auf viele Fragen.
Die einzelnen Phasen
Die Geburt eines Menschen ist der erste große Übergang in ein neues Leben. Wir schenken ihr in der BiografieArbeit sehr viel Beachtung, denn der Ablauf von Schwangerschaft und Geburt zeigen sehr deutlich, wie der Mensch auch die weiteren Übergänge in seinem Leben meistert.
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Die ersten Lebensjahre bis zum 7. Geburtstag sind sehr von der Mutter geprägt. Zu ihr haben wir die intensivste Bindung, unsere erste Beziehung sozusagen. In diesen Jahren bildet der Mensch seine Heimat, den Nährboden seines Vertrauens in das Leben. Im ersten Jahrsiebt werden viele Verhaltensweisen angelegt, die oft ein Leben lang beibehalten werden.
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Im zweiten Jahrsiebt von 7 bis 14 Jahren geht es aus dem „Nest“, dem Schutz der Familie heraus in die Schule. Lehrer und andere Kinder ermöglichen uns einen größeren Schritt in die Selbständigkeit. Es wird das Vertrauen in die Welt und in die Menschen entwickelt. Hier braucht es eine Balance zwischen Freiheit und Druck.
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Die Zeit der Pubertät zwischen dem 14. und 21. Lebensjahr ist sehr spannungsgeladen. Es wird alles in Frage gestellt, daher kann es zu regelrechten Kämpfen zwischen Kindern und Eltern kommen. Doch diese Abgrenzung der Jugendlichen ist enorm wichtig, um sich zu einem eigenständigen Individuum auszubilden.
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Vom 21. bis 28. Lebensjahr geht es in erster Linie um die weitere Abnabelung vom Elternhaus. Das kann ein Studium fern von zuhause, ein Jahr im Ausland oder die Wanderschaft sein. Freundschaften und Cliquen, die große Liebe, Urlaube und Partys, verrückte Unternehmungen sind in dieser vierten Phase des Lebens angesagt. Man könnte dazu auch „Sturm- und Drang-Zeit“ sagen!
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Nach der Zeit der „Abenteuer“ folgt eine Zeit des Schaffens. Zwischen 28 und 35 stecken wir viel Energie in das Erreichen unserer beruflichen oder materiellen Ziele. Familie, Job, Haus, Kinder… Bei vielen Menschen werden das Leben, das Arbeiten, aber auch die Beziehungen in dieser Zeit sehr nüchtern, emotional kühler und Entscheidungen werden rationaler getroffen.
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Spannend wird es nach dem 35. Lebensjahr. Denn geistige Fragen melden sich. Wir sind eng verbunden mit dem Materiellen und gleichzeitig werden wir an unsere göttliche Herkunft erinnert. Es beginnt eine Suche nach dem Sinn im Leben. Die Frage „Soll das alles gewesen sein?“ drückt den Nerv dieser Zeit aus. Viele wehren sich gegen diese persönliche Weiterentwicklung und suchen sich unbewusst Ablenkungen im Außen. Das können Sport, neue Beziehungen, Affären, die Anschaffung von Luxusgütern, Alkohol, Spekulationen oder Sex sein.
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Ab dem 42. Lebensjahr werden uns die Folgen unseres Handelns immer bewusster. Was wir tun, was wir aufgebaut haben, unser gesamtes Lebenskonstrukt wird überprüft und kommt dadurch ins Wanken. Wir haben in vielen Bereichen oft den sicheren Weg gewählt, der uns aber nicht erfüllt oder sogar lähmt. Persönliche Unfreiheit ist der Preis für die aufgebauten Verpflichtungen oder den Lebensstandard. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um das Leben „aufzuräumen“ und es grundlegend zu verändern.
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Zwischen 49 und 56 geht es sehr stark um die Frage, ob man im Leben schon alles gegeben und alles erreicht hat. Die Frage nach dem Sinn und die eigene Sterblichkeit rücken mehr und mehr ins Bewusstsein. Man sollte mit sich selbst ins Reine kommen und dementsprechend das Leben verändern! Die Wechseljahre oder die sogenannte midlife crisis zeigen sehr deutlich, dass es nun auf andere Qualitäten im Leben ankommt.
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Ab dem 56. Lebensjahr sollte man Neues ausprobieren und wieder auf Entdeckungsreise gehen. Ein forschender Geist und ein williges Loslassen von Routiniertem sind sinnvoll, um nicht starr zu werden. Wenn man noch nicht die berühmte „Löffelliste“ erstellt hat, dann ist es an der Zeit, sich Gedanken zu machen, was man noch erleben möchte.
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Nach dem 63. Geburtstag heißt es vor allen Dingen: Frieden schließen mit der eigenen Geschichte und dem eigenen Leben. Je mehr man sich seiner selbst und seiner Geschichte bewusst ist, umso freier kann man seine Zukunft gestalten. Es ist sinnvoll, sich mit seinen Lebenserfahrungen einzubringen und der Welt etwas zurückzugeben. Das verschafft geistige Frische und gestaltet das Älterwerden angenehmer!
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Was danach folgt, nennt man „die Kür des Lebens“ – die Gnadenjahre. Der Pflichtteil ist vollbracht. Nun geht es darum, den Lebensabend so genussvoll wie möglich in Frieden zu gestalten.
Betrachtet man sein gesamtes Leben unter diesen Gesichtspunkten, wie sie hier in knappen Sätzen grob erklärt sind, wird man entdecken, dass man im Leben gar nicht so viel falsch gemacht hat. Will man den roten Faden finden, den Sinn erkennen und seine Aufgabe entdecken, muss man sich schon tiefer darauf einlassen. In jedem Fall ist die Arbeit mit der eigenen Biografie eine der heilsamsten Möglichkeiten, um seinem Leben eine glückliche Wende zu schenken.
Martina Stöhr-Burkhardt und Michael Pompenig
Information & Inspiration
Martina Stöhr-Burkhardt / Michael Pompenig
www.experience-of-life.de