Magazin Visionen - Einfach. Besser. Leben.

Ahmad Milad Karimi ist ein Wunder. Als Kind geflüchtet aus Afghanistan, gestrandet schließlich in Deutschland in einem Containerlager.

In der deutschen Hauptschule, ohne ein Wort Deutsch oder Englisch, spürt er tief in sich: ich will lernen, ich will schreiben, ich will beten. Das war vor 25 Jahren. Ahmad Milad Karimi ist der lebendigste spirituelle Professor und Dichter und Maler, den ich kenne.

Welchen Beruf haben Sie gelernt?
Keinen ‚richtigen‘. Aber dafür: Fragen und Denken. Das bringt das Studium der Philosophie mit sich: Gedanken nicht zu verlassen. Und doch, in Indien, im Rahmen meines Auslandstudiums habe ich gelernt, das Denken sein zu lassen: nicht denken, sondern gedenken; Denken und Gedenken sind sich nahe. Und dann das Fragen: Wer fragt, hat keinen Beruf, weil er keinen Beruf sucht, sondern eine Berufung.

In welchem Bereich sind Sie derzeit tätig?
Heute denke ich leise, wenn ich schreibe und denke laut, wenn ich lehre – als Professor für islamische Philosophie und Mystik an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster.

Was möchten Sie sein?
Sein, wie ich war, bevor ich war.

Was ist Ihr Lieblingsessen?
Frisches Brot, das die Hände nicht halten können, weil es so heiß ist.

Sind Sie Vegetarier? Flexitarier? Veganer?
Flexitarier

Welche drei menschlichen bzw. spirituellen Werte sind Ihnen wichtig?
Geduld, Geduld mit der Geduld, Geduld mit der Ungeduld.

Was ist Ihr Traum vom Glück?
Denken, was ungedacht ist. Tun, was keiner getan hat. Sagen, was keiner sich traut. Aufstehen, wenn andere schlafen. Stehen, wenn andere sitzen. Laufen, wenn andere gehen. Mich niederwerfen, wenn  niemand sich beugen will.

Was wäre für Sie das größte Unglück?
Wenn meinen Kindern Ungerechtigkeit widerfährt, wenn sie nicht sein können, was sie begehren. Aber ich habe kein Unglück, es sind immer die anderen, um die sich mein Glück dreht.

Was bereitet Ihnen Bedenken oder Sorgen in Bezug auf den Planeten Erde oder die Menschheit?
Die Unachtsamkeit, die Endlichkeit der Ressourcen zu ignorieren. So zu leben, als würde alles selbstverständlich und ewig sein, schnelllebig und bequem.

Sind Sie karitativ oder ehrenamtlich engagiert? Wenn ja, wie bzw. wo?
Wäre ich derart aktiv, dann wäre ich vergesslich genug, es nicht aufzulisten.

Wann bzw. in welchem Alter haben Sie angefangen, sich für Spiritualität zu interessieren?
Im Alter von dreizehn auf der Flucht aus Afghanistan, in einer Zeit, in der alles verloren schien, die Hoffnung auf eine erfüllte Zukunft wie eine Illusion wirkte, begann ich zu beten; nicht deshalb, damit meine Wünsche in Erfüllung gehen sollen, sondern damit sich meine Wünsche verändern.

Meditieren Sie? Wie? Seit wann?
Ja, indem ich nach dem muslimischen rituellen Gebet, das ich nach Möglichkeit fünfmal am Tag vollführe, für einen Augenblick oder mehrere Augenblicke still sitzen bleibe, nichts sage, nichts anblicke, nichts  höre,  ichts will. Es soll das größte Gebet im Islam sein: zu schweigen.

Was ist „Gott“ für Sie?
Sehnsucht. Die Frage meines Lebens. Sehnsucht. Die Unruhe in mir, die mir den Schlaf raubt, aber dann plötzlich zur Ruhe kommt beim Betrachten einer Kleinigkeit, einer Spinne, die ein Haus errichtet aus Fäden, die so leicht zerstörbar sind, aus Hoffnung, die immer wieder und immer neu baut, die sich nicht aufhalten lässt.

Wie möchten Sie sterben?
In den Armen meines Sohnes, während er mir die 36. Sure des Korans vorträgt: „…Wahrlich, Wir beleben die Toten …“

Und dann?
Erwachen. Nicht mehr sterben. Geworden zu sein, wie ich war, bevor ich war. Eins sein, vergangen sein.

Was ist Ihre größte Schwäche bzw. Ihr größter Fehler?
Ich halte viel von mir, hänge jetzt Bilder auf, die ich male, veröffentliche jedes Gedicht, das ich schreibe, finde mich einfach nur großartig.

Was ist Ihre Strategie dagegen?
Ich male immer mehr, schreibe immer mehr Gedichte…

Was machen Sie in Ihren Mußestunden?
Ich sehe leidenschaftlich gerne Mafiaserien, Qualitätsserien, lasse mich verführen von Personen, die es nicht geben kann und doch gibt.

Welche Vision haben Sie für die nächsten zehn Jahre?
Mich für mehr Spiritualität einsetzen – vor allem im Kontext des Islam. Mehr Spiritualität bedeutet: mehr von weniger. Mehr an Frieden, Genügsamkeit, Dankbarkeit, mehr Stille – weniger schreiben, langsamer lesen, weniger sagen – mehr hören. Menschen suchen und eine Stimme geben, die Visionen haben, die mehr sehen als das Sichtbare.

Was sind für Sie die wichtigsten Projekte für dieses Jahr?
Mit meiner Tochter Rumi-Gedichte auf Persisch vortragen, mit meinem Sohn einen japanischen Bonsai einpflanzen und pflegen, ein Buch über das Böse schreiben, aber vor allem: einsamer und ärmer werden als letztes Jahr.

fs

Foto(s): Milad Karimi

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