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Ozean des Friedens

Wer kennt es nicht? Man nimmt sich fest vor, regelmäßig und ausreichend zu meditieren, stellt aber immer wieder fest, dass das flatterhafte Gemüt keine Ruhe geben will.

Denken, planen, erinnern, fühlen – das Gemüt ist das größte Hindernis für Erfolg in der Meditation, und überhaupt für innerseelischen Frieden.

Seit undenklichen Zeiten jagen wir Menschen den Dingen dieser Welt hinterher. Wir setzen unsere ganzen Fähigkeiten ein, um die Dinge zu genießen, an die wir mit Herz und Gemüt hängen. Eine Weile stellen die erreichten Dinge das Gemüt wohl zufrieden, aber dann erwacht sein Verlangen von neuem. Das beste Mittel, seine Faszination am Glanz der Dinge dieser Welt zu dämpfen, besteht darin, es von der inneren Seligkeit kosten zu lassen, die jede irdische Freude bei weitem übersteigt.

Seligkeit erfährt man durch die ständige (oder zumindest möglichst ausgedehnte tägliche) Verbindung mit Gott in der Meditation: die Versenkung in Gott in der einen oder anderen Seiner Formen. Diese bringen das rastlose Gemüt erfolgreich zur Ruhe. Je mehr Zeit auf die Meditation verwendet wird, desto deutlicher nimmt man Göttliches Licht oder den Göttlichen Urklang in der Seele wahr. Wie der Gesang des Orpheus die wilden Tiere zähmte, so zähmt der Göttliche Urklang den „wilden Affen“ des Gemüts und erfüllt es mit seinem Frieden.

Es gibt nichts Wichtigeres im Leben als die Meditation. Sie ist der einzige Weg zu unserem Ziel in Gott. Mitunter versucht das Gemüt, sich mit faulen Ausreden davor zu drücken. „Ach, es ist so schwer, zur Ruhe zu kommen! Das schaffst du nie!“ oder: „Das bringt dir eh‘ nichts!“ Und wenn man nicht sofort gegensteuert und konsequent bei der Praxis bleibt, setzt sich der Schlendrian rasch durch. Mit wachsendem zeitlichem Einsatz aber vertieft sich die Konzentration so weit, dass sich die Aufmerksamkeit vollends nach innen kehrt, in höhere Dimensionen aufsteigt und Gott begegnet. Mit regelmäßiger Übung werden das Göttliche Licht oder der Urklang oder andere göttliche Ausdrucksformen zu einem ständigen Begleiter, der das Gemüt mit Frieden und Freude erfüllt.

Wir sind zum Frieden berufen

Wenn die Aufmerksamkeit sich mit dem Göttlichen Licht oder Urklang verbindet und im Innern ruht, lebt man mit sich und der Welt in Frieden. Der einzige Ort dauernden Friedens liegt im Inneren des Menschen. Wie es in der Bibel heißt: „An diesem Orte will ich Frieden stiften“ (Haggai 2,9). Nichts Irdisches – weder Mensch noch Ding – kann uns diesen Frieden schenken.

Alle Mystiker und Philosophen rühmen einmütig die bevorzugte Stellung des Menschen innerhalb der Schöpfung. Sie beruht auf der Tatsache, dass nur der Mensch das Geheimnis der Schöpfung entschlüsseln kann, indem er die Ur-Sache hinter allen Wirkungen erkennt. Solange er dieses Rätsel nicht löst, lebt er vergebens. Deshalb liegt es mir so sehr am Herzen, die Bedeutung dieses Zieles herauszustellen. Wer den Königsweg der Meditation aufgenommen hat und unter kundiger Anleitung einer verwirklichten Meisterseele geht, sollte ihm mit Glauben, Liebe und ganzem Einsatz folgen, bis er den Hort des ewigen Friedens und der ewigen Glückseligkeit erreicht.

Sich vor dem Störenfried hüten

Der grundlegende Störfaktor auf diesem Weg ist das Gemüt. Als Bindeglied zwischen Geist und Materie kann es sowohl nach außen in die Sinneswelt als auch nach innen in die Welt des Geistes wirken. In dem einen Fall verbindet es sich mit der Materie, im anderen löst es sich von ihr und ist bestrebt, das Wesen des Geistes zu ergründen, der naturgemäß nach innen weist. In dem Maße, wie sich das Gemüt von der Materie löst, verbindet es sich mit der Seele.

Aus diesem Grunde ist es notwendig, sorgfältig seine Neigungen zu erkunden, um seine Schwächen festzustellen und zu überwinden. Solange es mit materiellen Eindrücken behaftet ist, kann es sich nicht still im Innern aufhalten, weil es von seinen Bindungen stets wieder nach außen gezogen wird. Es ist immer die schwerere Waagschale, die den Ausschlag gibt. Das Gemüt ist unser Gegner, und wie auf jeden anderen Feind muss man auch auf ihn ein wachsames Auge haben. In diesem Sinne sagte Jesus: „Wenn der Starke bewaffnet seinen Hof bewacht, ist sein Besitz in Frieden“ (Lukas 11,21).

Alles, was lebt, tanzt nach seiner Pfeife und bewegt sich nach seinem Willen. Nur der Göttliche Urklang ist stärker als das Gemüt und kann es seinerseits „zum Tanzen“ bringen. Es lässt sich weder durch das Studium der heiligen Schriften noch durch Rituale bezwingen. Weder Feldherr noch Krieger noch Soldat haben es jemals besiegt, genauso wenig wie die Moralisten. Alle Menschen, denen dies jemals gelungen ist, haben es mittels der meditativen Verbindung mit Gott, dem Göttlichen Urklang, geschafft.

Den Frieden in sich selber suchen

Innerhalb der einzelnen Schöpfungsebenen ist diese Welt die Stätte von Kampf und Streit. Hier war niemals Frieden, und hier wird niemals Frieden sein. Die Probleme der Gegenwart lösen nur die Probleme der Vergangenheit ab. Wo Gemüt und Materie regieren, kann es keinen Frieden geben. An einem solchen Ort hören Kampf und Leid nie auf, und weder der Einzelne noch seine Gemeinschaft bleiben davon verschont.

Deshalb muss die Seele anderswo Frieden suchen. Dies ist eine individuelle Angelegenheit. Jeder muss den Frieden in sich selber suchen. Kein anderer kann ihm dabei helfen. Wir sind als Einzelwesen in die Welt gekommen, und als Einzelne verlassen wir sie auch, alle auf demselben Wege – durch den Vorgang des Sterbens. Dabei zieht sich das Bewusstsein, beginnend an den Extremitäten, vom Körper zurück, bis es schließlich den Augenbrennpunkt (in der Mitte der Stirn) passiert und sich endgültig vom Körper trennt. Im Augenblick der Geburt spielt sich der umgekehrte Vorgang ab. Sobald die Aufmerksamkeit erneut in entgegengesetzter Richtung aufsteigt und das Augenzentrum durchquert, bleibt der Körper ohne Leben und Gefühl zurück. Ernsthafte Schüler des spirituellen Pfades sterben täglich (beim Aufstieg in der Meditation) und werden täglich beim Abstieg in die physische Welt neu geboren. Für sie ist der Tod eine Routineangelegenheit.

Träumen und wachen

Solange wir ausschließlich in dieser Welt, auf der materiellen Ebene, wirken, sind wir nichts weiter als Materialisten. Im Wachzustand sind wir unmittelbar mit der materiellen Welt verknüpft; auch im Traum besteht diese Verbindung fort, denn Träume sind ein Nachhall unserer Eindrücke aus dem Wachzustand. Im Tiefschlaf ist die Verbindung mit der materiellen Welt völlig unterbrochen. Er ist ein Zustand dumpfen Unbewusstseins.

Gemessen am Wachzustand sind Traum und Tiefschlaf Zustände relativer und völliger Bewusstlosigkeit. Innerhalb dieser drei Bereiche spielt sich das menschliche Leben ab: Wir sind entweder wach, träumen oder schlafen. Wenn wir einmal von den Phasen des Halbbewusstseins und der Unbewusstheit absehen und uns fragen, wie sich das Gemüt im Wachzustand verhält, stellen wir fest, dass die Gedanken wie Bienen rastlos von einem Gegenstand zum anderen eilen. Flüchtigen Empfindungen der Freude folgt die Enttäuschung auf dem Fuß. Die Unbeständigkeit dieser irdischen Welt gewährt dem Gemüt keinen dauerhaften Frieden, und es leidet unter jedem Verlust. Im sogenannten bewussten Zustand ist bleibender Friede also nicht zu erreichen.

Die Außenwelt hinter sich lassen

Im Inneren des Menschen liegen noch andere Welten, die nicht aus grober Materie bestehen, sondern als geistige Ebenen beschrieben werden können. Solange das Gemüt nicht stetig ist, bleiben sie ihm verborgen. Unsere Sinnesorgane, Augen, Ohren usw., verbinden uns nur mit der materiellen Welt. Wenn das Gemüt nun aufhört, durch diese Kanäle nach außen zu fließen, sind wir, während es innen weilt, völlig von der Außenwelt getrennt.

Sobald wir das Gemüt wieder in die Sinneskanäle lenken, leben wir von Neuem in der Welt. Wenn wir noch einen Schritt weitergehen und das von außen abgekehrte Gemüt nach innen wenden, tun sich uns die inneren Welten auf. In dem Maße, wie dieser Vorgang – das Zurückziehen der Aufmerksamkeit von den Sinnen und die Einkehr in das innere Reich – zur Gewohnheit wird, kann der Mensch willentlich bald in dieser, bald in jener Sphäre wirken.

Gegenwärtig leben wir ausschließlich in der physischen Welt und sind geistig gesehen tot. Wer gelernt hat, im Leben zu sterben, lebt jeweils dort, wo seine Aufmerksamkeit wirkt. Er ist der Columbus einer neuen Welt mit ungleich größeren Möglichkeiten. Solange das Gemüt aber noch nicht imstande ist, die Eindrücke dieser Welt aus freien Stücken hinter sich zu lassen, kann es sich, von der Außenwelt abgeschnitten, nicht im Inneren halten, geschweige denn das Reich des Geistes betreten. Dennoch ist es grundsätzlich dazu in der Lage, es muss diese Fähigkeit nur entwickeln. Das dauert freilich seine Zeit und erfordert Glauben, Ausdauer und Geduld.

Eintauchen ins Meer des Friedens

Seit Anbeginn der Schöpfung ist das Gemüt über die begrenzten Bewusstseinszustände des Wachens, Träumens und Schlafens nicht hinausgekommen. Dabei ist der Mensch die Krone der Schöpfung, und dementsprechend groß ist die Verantwortung, die er trägt. Der Sinn der menschlichen Geburt liegt in der Wiedervereinigung der Seele mit ihrem Ursprung (religio). Verfehlt sie dieses Ziel, muss sie immer wieder von neuem in dieser Welt antreten, um sich weiter zu vervollkommnen. Des Menschen vornehmste Aufgabe ist die Befreiung seiner Seele aus dem Griff der Materie und des Gemüts, damit sie in das Meer der Glückseligkeit eintauchen kann, von dem sie ein natürlicher Teil ist – ein Tropfen aus dem Ozean des Friedens.

  Sawan Singh

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FOTO: gettyimages

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