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Nicht selten gerät der spirituelle Fortschritt ins Stocken, und Zweifel stellen sich ein. Dabei gibt es einen Königsweg, um schnell ans Ziel zu kommen…

Auf dem Pfad der Spiritualität kommt es häuwg vor, dass Praktizierende nach einigen Jahren das Gefühl haben, nicht weiter voranzukommen. Ihr Fortschritt ist trotz aller Bemühungen zum Stillstand gekommen. Sie sitzen nach wie vor regelmäßig zur Meditation, sie halten sich an die Standards der ethischen Lebensführung und arbeiten ihre Charaktermängel auf. Sie teilen mit anderen, spenden einen Teil ihres Einkommens oder engagieren sich karitativ. Sehr häuwg studieren sie Bücher über Mystik und Spiritualität, manche reisen an besondere Orte der Spiritualität, in der Hoffnung, dort nachhaltig Auftrieb für ihren spirituellen Weg zu erhalten. Am Ende stellen sie enttäuscht fest, dass ihre Meditation dennoch nicht tiefer wird, dass sie Gott nicht nähergekommen sind. Sie fragen sich, ob sie überhaupt auf dem richtigen Weg sind. Was fehlt ihnen?

Ich möchte an dieser Stelle eine besonders einfache Methode erklären, um den spirituellen Fortschritt zu „boostern“ – quasi einen spirituellen Turbo.

Gott ist Liebe

In den spirituellen Schriften aller Traditionen heißt es, dass Gott Liebe ist. In der Bibel lesen wir z. B. im 1. Johannesbrief (4.16): „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.“ Gott ist der Inbegriff der Liebe, und Gottmenschen wie Jesus Christus sind eine Verkörperung der Liebe. Wenn wir lieben – in der Liebe leben –, dann können wir Gott wnden und ihm näherkommen. Aber diese Liebe hat nichts mit materiellen Dingen zu tun; sie ist vielmehr eine Angelegenheit des Geistes. Denn Gott ist Geist, auch das betonen die Schriften.

Liebe ist der richtige Weg, um Gott zu verwirklichen. Aber es gibt verschiedene Arten der Liebe und so stehen wir vor der Frage, wie unsere Liebe für Gott aussehen sollte. Zum einen gibt es die Liebe in der Beziehung zwischen Mutter und Kind; die mütterliche Art der Liebe gilt als besonders rein und erstrebenswert. Dann gibt es die Liebe zwischen Geschwistern und die Liebe zwischen Freunden. Eine weitere Spielart ist die Liebe zu Geld und Reichtum; wir hängen an materiellen Gütern. Dann gibt es die Liebe zur Gelehrsamkeit und zum Wissen. Wir verlieren uns dabei in den Gegenständen unserer Liebe und vergessen, worum es im Leben eigentlich geht.

Die Liebe zu Gott unterscheidet sich von all diesen Formen der Liebe. In den verschiedenen heiligen Schriften heißt es von Gott bzw. vom Gottmenschen, dass er unser Vater und unsere Mutter ist, unser Bruder und unser Freund, unsere Weisheit und unser Schutz, unser höchster Herr, schlicht: unser Alles. Wenn wir nun Gott bzw. den Gottmenschen lieben, sind in dieser Beziehung alle Formen der Liebe inbegriffen. Wir können also in Bezug auf die Liebe zu Gott keine speziwschen Vorgaben machen – etwa, dass wir ihn wie einen Vater oder eine Mutter oder einen Freund lieben sollten. Die Liebe zu Gott steht über allen anderen Arten der Liebe und schließt sie alle in sich ein.

Tatsächlich Liebe?

Wir sollten uns nicht mit Dewnitionen und Beschreibungen der Liebe aufhalten, sondern tatsächliche, wahre Liebe zu Gott entwickeln. Wahre Liebe kennt keinen Grund. Wahre Liebe hat keine Grenzen. Man kann also nicht sagen, dass man nur in einem bestimmten Ausmaß liebt und nicht darüber hinaus.

Ein emotionaler Ausdruck von Liebe ist nicht tatsächlich Liebe. Denn wir können mit Worten und Gesten äußerlich vorgeben zu lieben, aber das ist kein zuverlässiger Beweis für Liebe. Manchmal verspüren wir Abneigung oder Hass für eine Person und versuchen, dieses Gefühl zu unterdrücken oder loszuwerden, indem wir vorgeben, diese Person zu lieben. Die Liebe existiert also nicht aufgrund solcher Äußerlichkeiten. Bringt man Liebe andererseits nicht zum Ausdruck, kann man die Liebe nicht nähren und wachsen lassen. Wir müssen daher den goldenen Mittelweg wnden, um beides miteinander zu verbinden: die Liebe an sich und den passenden äußeren Ausdruck von Liebe.

Die Liebe mehren

Ständig an unseren Geliebten – Gott – zu denken, wird unsere Liebe zu ihm vermehren. Mein Meister pyegte zu sagen: „Indem ihr nur die Worte ‚Ich liebe dich, ich liebe dich‘ wiederholt, wird eure Liebe zum Meister nicht zunehmen.“ Eine Mutter sagt auch nicht ständig zu ihrem Kind, dass sie es liebt; vielmehr ist sie mit ihren Gedanken ständig bei ihrem Kind. Die beständige Erinnerung an Gott – ob im Herzen oder in Gedanken – lässt die Liebe anwachsen. Aus diesem Grund sagen die spirituellen Meister immer wieder, dass wir mit unseren Händen bei der Arbeit sein sollten, unsere Gedanken aber sollten auf Gott gerichtet sein.

Die Liebe vermehrt sich dadurch, dass wir um unseres Freundes willen auf Dinge verzichten. Wenn ich vom „geliebten Freund“ spreche, dann meine ich nur Gott bzw. den Gottmenschen. Welche Art von Opfer können wir erbringen, um Gott näher zu kommen? – Wir sollten unser Gemüt unter Kontrolle bringen, damit es nicht ständig herumstreunt und sich mit den vielfältigen Dingen in dieser Welt beschäftigt. Das denkende Gemüt zu zügeln ist eine sehr große Herausforderung, denn es will sich nicht in die Schranken weisen lassen und versucht mit aller Kraft dagegen aufzubegehren. Das denkende Gemüt verursacht große Schwierigkeiten für unsere Liebe zu Gott.

Des Weiteren ist Wachsamkeit sehr wichtig für das spirituelle Leben. Wir müssen zum einen wachsam darauf achten, was das Gemüt mit uns vorhat. Zweitens sollten wir wachsam sein, um Gelegenheiten zu erkennen, wie wir Gott näherkommen können. Es ergeben sich unzählige Möglichkeiten, um unsere Liebe zu Gott größer werden zu lassen, aber wenn wir nicht wachsam sind, verpassen wir diese Chancen.

Auch Gehorsam ist dabei unverzichtbar – Gehorsam gegenüber den göttlichen Anweisungen und Impulsen, die wir in der Meditation und auch sonst von innen erhalten. So wie Jesus Christus zu seinen Schülern sagte: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten.“ (Johannes 14. 15) Aus Liebe befolgen wir Gottes Anweisungen, und umgekehrt lässt solcher Gehorsam die Liebe zu ihm wachsen. Manchmal haben wir den Eindruck, dass wir von Gott keine Belohnung für unsere Mühen erhalten. Wir sollten jedoch eines wissen: Wir können nicht eigenständig aus uns heraus Liebe zu Gott entwickeln; vielmehr ist als Erstes die Liebe Gottes für uns da und als Antwort darauf entwickeln wir Liebe für Gott (vgl. 1. Johannesbrief 4,7–21). Unsere Liebe vervielfacht sich, wenn wir ihm unsere Liebe schenken, und daraufhin gibt er uns sehr viel Liebe zurück: Er bleibt uns gewogen und sorgt für uns.

Das Kriterium

Die Liebe, wie gering auch immer sie sein mag, die ihr in eurem Herzen tragt, ist unvergänglich. Sie bleibt für immer bestehen. Wahre Liebe hat kein Ende, sie nimmt nicht ab. Der große Mystiker Kabir erklärt in einem Gedicht, welch großen Vorteil wir haben, wenn wir sie entwickeln: „Die ganze Welt bemüht sich durch das Studieren heiliger Bücher, weise zu werden, jedoch ist auf diese Weise, bei aller Anstrengung, noch niemand weise geworden.“ Weise bedeutet, dass wir vollkommen sind, und das geht nur, indem wir mit Gott eins geworden sind. Kabir fährt fort: „Ihr müsst nur ein einziges Wort wahrhaft kennen und verstehen, um weise zu sein: das Wort Liebe.“ Kabir sagt es ganz deutlich: Die Liebe ist die entscheidende Tugend, um in der Spiritualität vollkommen zu werden.

Woran können wir aber erkennen, ob unsere Liebe echt und vollkommen ist? Dafür gibt es ein eindeutiges Kriterium. Im MatthäusEvangelium 10,37 sagt Jesus Christus: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig.“ Wenn wir irgendjemanden oder irgendetwas mehr lieben als Gott bzw. den Gottmenschen, dann verfehlen wir ihn. Jesus sprach hier von der Liebe zu den Eltern, weil dies als die innigste Beziehung auf der Welt gilt. Wenn irgendjemand zwischen uns und Gott steht, dann sind wir seiner nicht würdig. Aber: Wenn wir diesen Grad der spirituellen Vollkommenheit erreicht haben, dann gilt die Aussage Christi: „Ich bleibe in ihm und er in mir.“ Dann überlassen wir uns vollständig Gott, und fortan ist er es, der uns leitet, und nicht mehr unser eigenes kleines Gemüt.

Vollkommenheit im Leben

Zuweilen hört man den Vorwurf, ein Mensch, der sich dem Pfad der Meditation und Spiritualität widmet, habe kein Interesse an dieser Welt und vernachlässige seine Aufgaben und Pyichten gegenüber den Mitmenschen. Tatsächlich verhält es sich aber ganz anders: Ein spiritueller Schüler wird durch seine Liebe zu Gott in seinem Inneren dazu inspiriert, Liebe zum Nächsten in seinen Handlungen zum Ausdruck zu bringen.

Der einfachste und wirksamste Weg, um Vollkommenheit im Leben zu erreichen, ist, Gott mit ganzem Herzen und ganzer Seele zu lieben. Wenn wir glauben, dass es uns an etwas mangelt, dann müssen wir überprüfen, ob unsere Liebe vollkommen ist. Diese Liebe müssen wir selbst hervorbringen und in all unserem Denken und Handeln nähren und mehren. Nun wissen wir, was wir zu tun haben: Wir können nicht untätig und müßig sein, sondern müssen wachsam sein und erkennen, was für uns gut ist.

 Soami Divyanand

Soami Divyanand, von 1932-2014, lehrte 40 Jahre lang den Yoga der Seele, den Weg des inneren Lichts und Klangs. Er hat zahlreiche Bücher verfasst und eine vollständige Vedenübersetzung erstellt. Darüber hinaus
setzte er sich für die interreligiöse Verständigung ein.

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Foto(s): gettyimages

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