Magazin Visionen - Einfach. Besser. Leben.

Thomas Lambert Schöber

Ein Plädoyer für den Feinsinn - Am Fenster stehend, verliere ich mich im Tanz der Schneeflocken. Worin liegt das Mysterium dieser schneeweißen „Verführung,“ die das vergessene „Kind“ in uns befreit?

Vielleicht ist es die Einzigartigkeit jeder Flocke, die bereits bei ihrer Entstehung sanft ihrem Ende entgegenstrebt. Ist es die „Anziehungskraft“ des Unverfügbaren, in einer Welt, die sich einbildet, alles besitzen zu können? „Schnee“ entrückt uns aus dem Profanen und lädt uns ein, zu fallen wie die Flocken selbst – ganz im Sinne des englischen „to fall in love“.

„Gesucht, umgarnt,entfaltet.
Von Zauberhand gestaltet.
Zwischen Dir und mir,
Als blinder Passagier?“

Es heißt, die Inuit hätten 50 Wörter für Schnee. Auch wenn diese Zahl mehr über unsere Sehnsucht als über linguistische Realitäten aussagt – sie führt uns zu einer wesentlichen Frage: Wenn überhaupt etwas ein so feines Vokabular verdient, dann ist es die Liebe. Ist es nicht erstaunlich, dass wir dem Schnee diese Vielschichtigkeit zugestehen, während wir die Liebe oft in ein einziges Wort pressen. Dabei lebt die Liebe doch vom „Feinsinn“ – und dieser ist kein romantischer Luxus, sondern ein stiller Akt des Widerstands gegen Verallgemeinerung, Engstirnigkeit und Intoleranz. Er ist unser Weg zur „Selbstbestimmung“ und „Souveränität“.

Es war der Feinsinn, der einst gotische Kathedralen in den „Himmel“ wachsen ließ und unvergessliche Symphonien komponierte. Er ließ Meister des Kunsthandwerks Unikate von zeitloser Schönheit schaffen und Shakespeare universelle Wahrheiten über die menschliche Befindlichkeit formulieren – Reflexionen, die uns bis heute Weisheit und Trost schenken, wenn wir in seinen Texten nach Orientierung suchen. All diese Werke entstanden nicht aus Effizienz, sondern aus der Hingabe ans Detail, aus der „Geduld“ des geschulten Blicks, aus der Liebe zur Vollendung. Während andere durch ihr Leben scrollen und überleben, erleben die Feinsinnigen die Handwerkskunst des Herzens in all ihrer „Sinnlichkeit“. Diese Poesie verdichtet die Wahrnehmung – beschreibt nicht die Beschaffenheit der Dinge, sondern deren „Wesen“. Jeder Liebesbrief, jedes selbst geschriebene Gedicht ist mehr als Worte auf Papier – es sind Papierflüge, die unsere „Sehnsucht“ durch die „Dunkelheit“ ins „Licht“ tragen.

„Im Auge des Sturms,
Zwischen Tugend und Gier?
Im Salz der Erde.
Im Sprung der Pferde.“

Ich finde, wer liebt, wird unweigerlich zum Künstler. Nicht weil er perfekte Sonette reimt, sondern weil er lernt, die Welt immer wieder mit frischem Blick zu sehen. Die Liebe fordert uns auf, nach neuen Worten zu suchen, nach Bildern für das Unsichtbare. Dabei ist sie eben kein Versprechen für ewiges Glück – wer das sucht, gleicht einem Jagdhund, der seiner eigenen Spur hinterherläuft. Stattdessen schenkt sie uns etwas Kostbareres: tiefe „Dankbarkeit“ und „Zufriedenheit“. Die „geteilte Freude“, die wie ein Echo zurückkehrt, das „Fern- und Heimweh“ als Motor für „Fortschritt“; das „Wunder“, in der „Ekstase“ eine tiefere Ruhe zu finden, wenn zwei Atemzüge zu einem verschmelzen.

Kein Zufall, dass Erich Fromm mit seinem Meisterwerk „Die Kunst des Liebens“ bis heute fasziniert. Er sah in der Liebe keine romantische Schicksalsfügung, sondern eine Kunst, die wir bewusst erlernen und leben müssen. Schon Shakespeare schrieb: „Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist, so spielt fort.“ Liebe ist keine bloße Emotion, sie ist eine bewusste Hinwendung zum Leben in all seiner Unvorhersehbarkeit – eine Lebenshaltung. In meinem Buch „50 Wörter für Liebe“ habe ich versucht, diese Vielfalt einzufangen: mit selbst geschaffenen Wörtern, unübersetzbaren Begriffen aus fernen Kulturen und einer Annäherung in Essays, Versen, Geschichten und Anekdoten.

„Noch fern – schon da?
Nie verweilt sie, wie sie war.
So ist ihre Natur. Ihre Stimme. Ihre Pracht.
Zwischen Worten wohldurchdacht …“

„Wer heute noch an die Liebe glaubt, ist ein Narr – alles nur Chemie“, höhnen die Nüchternen. Aber was ist verwunderlicher: die Chemie, die Liebe erzeugt, oder die Liebe, die sich in Chemie verwandelt? Vielleicht braucht es genau diese kreative Spannung zwischen Verstand und Torheit: den weisen Narren, der mit gelachten Tränen und Konfetti der Ironie die verhärteten Herzen aufbricht. Er ist es, der sich traut, aus dem Rahmen zu fallen, der Glaubenssätze dekonstruiert und uns an unsere eigene Lebendigkeit erinnert.

In einer Gesellschaft, die sich oft so ernst nimmt, dass sie beinahe erstickt, wird seine Unbeschwertheit zur Weisheit. Er lehrt uns das Lachen über uns selbst – eine Fähigkeit, die uns erhebt und zugleich erdet. „Der Narr ist der optimistischste Pessimist, den es gibt, ein unerschrockener Künstler, der mit den Farben der Lächerlichkeit und den Pinselstrichen der Widersprüche das Leben erkennt.

Liebe als Lebens-Haltung Er schenkt sein Vertrauen sogar denen, die es vielleicht nicht verdienen – ich nenne das „Demut“, „Großzügigkeit“, „Vergebung“ und „Gnade“ – alles enge Verwandte der Liebe.

Sein „Humor“ baut heilsame Brücken, wo die Vernunft sie abreißen will. Ein solches „Vertrauen“ beginnt bei uns selbst, denn wahre Liebe schafft keine Abhängigkeiten, sondern lehrt uns „Geduld“ und „Gelassenheit“. Und wenn wir glauben, dass wir nicht tiefer fallen können als in die Hände der Liebe, so wird aus dem Fallen ein „SichEinlassen“, ein „Hingeben“ oder, wie ich in meinem Buch schreibe, ein echter Sprung ins „Himmelweit und Tiefseeblau“.

Nein, wer an die Liebe glaubt, ist kein Narr – sondern ein Mensch, der den Mut zur kritischen Reflexion besitzt, der nie aufhört zu lernen und der weiß, wann es Zeit ist loszulassen. Die Liebe mag verschwenderisch sein, doch gerade in dieser „Verschwendung“ liegt ihre Schönheit – denn was sie gibt, wächst, vermehrt sich und kehrt vielfach zurück. Und in jenem scheinbar närrischen Moment, wenn alle Schwere von uns abfällt, verwandelt sich vermeintliche Torheit in eine Weisheit, die unserem Fall, unserem Leben, „Haltung“ verleiht.

Thomas Lambert Schöber

Information & Inspiration
Thomas Lambert Schöberl ist Heilpraktiker, Kräuterpädagoge und Buchautor; in seiner Münchner Naturheilpraxis bietet er u. a. Seminare zu den Themen Ganzheitlich leben, Spiritualität und Natur an.

Thomas Lambert Schöberl: 50 Wörter für Liebe.
Inspirationen, die das Herz berühren. Mankau Verlag, 2025. Gebunden, 222 S. ISBN 978-3-86374-728-2. € 18,-

Foto(s): © Thomas Lambert Schöberl 

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