Fortschritt in der Meditation braucht regelmäßige Übung. Und man braucht Beharrlichkeit, um ans hohe Ziel zu gelangen. Ein Ziel, das auf alle Menschen wartet…
Wenn ihr auf das vergangene Jahr zurückschaut und euren früheren spirituellen Stand mit eurem heutigen vergleicht, wie steht es jetzt mit euch? Besser als vor einem Jahr? Macht ihr Fortschritte, verglichen mit damals?
Die primäre Aufgabe des Menschen
Jeder Mensch muss seinen eigenen, individuellen Weg zu Gott nehmen. Natürlich haben einige Menschen einen spirituellen Hintergrund von früher, aber das spielt letztlich keine Rolle. Jene, die jetzt mit ihrer spirituellen Entwicklung erst beginnen, treten ihren Weg an, um den ersten Preis zu gewinnen. Es mag sein, dass sie schneller fortschreiten als jene und zuerst am Ziel ankommen. Das hängt von der Hingabe ab und von der Regelmäßigkeit und von der vorherrschenden Neigung, die man hat. Warum nicht ein Beispiel für andere sein?
Alle, die den menschlichen Körper erhalten haben, haben das ererbte Recht – das Erbrecht! –, Gott zu erkennen. Das kann ihnen keiner, auch keine Regierung, wegnehmen. Aber ob und wann man das Ziel der Gotterkenntnis erreicht, hängt hauptsächlich von unserer Hingabe und vorherrschenden Neigung ab – einer Neigung nicht für die weltlichen Dinge, sondern für Gott. Das ist eure primäre Aufgabe, die ganz private, persönliche Arbeit, die ihr zu tun habt. Die meisten von uns sind von anderer Arbeit in Anspruch genommen. Macht täglich eure spirituellen Übungen, nehmt das Kreuz täglich auf euch und erhebt euch über das Körperbewusstsein. Dort wird das ABC auf dem Weg hinauf zu Gott beginnen.
Ein Programm aufstellen
Hebt eine Aufzeichnung davon auf, was ihr heute, am ersten Tag des Jahres, seid. Und vergleicht am Ende des Jahres, wie weit ihr fortgeschritten seid. In der Schule braucht man ein ganzes Jahr, um in die nächsthöhere Klasse versetzt zu werden. Aber die Schüler müssen fünf bis fünfeinhalb Stunden in der Schule dafür einsetzen und zwei oder drei Stunden zuhause. Diejenigen, die regelmäßig ihre Aufgaben machen und nicht faul dasitzen, werden in die nächsthöhere Klasse kommen. Nun liegt ein ganzes Jahr vor euch. Lasst uns sehen, wie weit ihr in diesem Jahr vorankommt. Von eurem jetzigen Standort aus solltet ihr wenigstens um eine Klasse zur nächsthöheren aufsteigen. Arbeitet dafür! Es ist ein ganzes Jahr.
Arbeitet also mit den spirituellen Übungen, so dass ihr mit Hilfe der Gotteskraft innen zu den höheren spirituellen Ebenen aufsteigen könnt. Habt ein Ideal als Ziel vor euch, das ist alles. Bei den Sufi-Heiligen heißt es: „Gott ändert das Leben des Menschen nicht, es sei denn, sie wollen sich selbst umwandeln.“ Wenn ihr dieses Ideal vor euch habt und es mit aller Kraft anstrebt, wird Gott euch helfen. Gott hilft denen, die sich selbst helfen. Er verlangt nicht zu viel von euch. Sehr viel? Zu viel? Ihr habt ein ganzes Jahr Zeit dafür. Schreitet von heute an regelmäßig voran. Setzt so viel Zeit ein, wie ihr nur irgend könnt, mit gebührender Beachtung eurer anderen Pflichten, so dass ihr das Ziel, welches ihr selbst aufstellt, stets vor euch sehen könnt und im Laufe dieses Jahres etwas erreicht.
Wie ich euch sagte, hilft Gott jenen, die sich selbst helfen. Gott sagt auch im Koran: „Bei denen, die ihr Leben nicht ändern wollen – wir können es nicht für sie tun.“ So macht euch von heute an ein Programm. Dann könnt ihr sehen, wie dieser Traum Wirklichkeit wird.
Nutze die Zeit!
Von dem Mogul-Sultan Mahmud Ghazni ist bekannt, dass er Indien siebzehnmal überfiel und plünderte, Waisen und Witwen hinterließ und alle Edelsteine und alles Gold usw. aus Indien nach Ghazni in Afghanistan fortschaffte. Von ihm wird erzählt, dass er gegen Ende seines Lebens seine Minister anwies, alles, was er aus Indien gebracht hatte, die ganze Beute, Gold, Rubine, Silber, in Haufen um ihn aufzustellen und ihn für eine Weile hindurchgehen zu lassen, damit er sehen konnte, wieviel er zusammengetragen hatte. Sie machten es so. Er schaute auf die riesigen Mengen von Gold und Smaragden um sich und vergoss Tränen. Einer seiner Minister sagte zu ihm: „Eure Majestät, alle müssen irgendwann gehen; es ist nichts Neues bei Euch.“ – „Gut, erinnere mich daran, wenn ich zum Palast zurückgehe“, sagte der Sultan. Und der Minister dachte: „Ich werde sicher eine sehr große Belohnung erhalten.“ Als sie zurückkamen, erinnerte ihn der Minister: „Herr, Ihr batet mich darum, Euch zu erinnern.“ – „Jawohl“, befahl er, „schickt ihn für den Rest seines Lebens ins Gefängnis.“ – „Was? Welchen Fehler habe ich begangen?“ Der Sultan sagte: „Warum hast du mich nicht damals erinnert, als ich Waisen und Witwen hinterließ und die Menschen um ihr Hab und Gut brachte?“
So sage ich es euch jetzt, sehr ernst, nicht im Spaß, sondern wohl überlegt. Habt ihr dies alles wirklich gehört? Dies ist eine rechtzeitige Mitteilung! Eure spirituelle Arbeit ist das Einzige, was euch nach dem Tod begleiten wird. Dieser Körper geht nicht mit uns. Dies ist eure Arbeit, eure eigentliche und ganz persönliche Arbeit. Dies ist die Arbeit, die ihr mit euch nehmen könnt; sonst nichts. So hat der Mensch, der das ganze Jahr hindurch regelmäßig in seiner spirituellen Praxis gewesen ist, nichts zu befürchten, wenn nach einem Jahr die Zeit der Prüfung kommt. Und jene, die es nicht waren? Der letzte Monat des Jahres ist gekommen, und sie werden Tag und Nacht verzweifelt arbeiten. Das ist nutzlos! Warum nicht jetzt anfangen? Ihr habt ein ganzes Jahr vor euch, zwölf Monate, und nicht einen Tag weniger. Fangt gleich an!
Der Wert des menschlichen Lebens
Haltet immer das höchste Ideal vor euch, achtet stets darauf! Verhaltet euch nicht wie leblose Puppen! Wenn ihr zum Beispiel drei Meter hochspringen wollt, dann haltet das Ziel, das Ideal von drei Metern vor euch. Wenn ihr keine drei Meter hochspringt, so schafft ihr wenigstens 1,20 m oder eineinhalb Meter. Haltet aber das höchste Ziel vor euch, nicht sechzig oder neunzig Zentimeter. Indem ihr das höchste Ziel stets vor Augen habt, werdet ihr dafür trainieren und hochspringen, wenn nicht ganz so hoch, so wenigstens annähernd.
Haltet also immer das höchste Ideal vor euch, dann werdet ihr dafür etwas tun. Wenn ihr keine hohen Ideale vor euch habt, wenn es nur durchschnittliche sind, werdet ihr auf dem Niveau bleiben, wo ihr seid.
Ihr habt den menschlichen Körper bekommen, um als Menschen auf der Erde zu wirken. Bhai Nand Lal, ein großer Punjabi Dichter, der ein Schüler von Guru Gobind Singh war, sagte: „Ein Mensch verdient es erst wirklich, Mensch genannt zu werden, wenn er Gott erreicht.“ Wenn ihr dieses Ideal vor Augen haltet, dann werdet ihr es natürlich vergleichsweise viel besser machen
Die Inkarnation einer Seele als Mensch bedeutet, dass es für sie das höchste Ideal ist, Gott zu erkennen. Nicht mehr und nicht weniger. In euren Beziehungen zu allen anderen Menschen habt ihr natürlich karmische Schulden zu begleichen, die Ursachen und Wirkungen des Karmas auszugleichen, aber haltet euch dabei an jenem Ideal fest. Es ist ein Jammer, wir haben kein Ideal vor uns. Das Ideal sollte das Höchste sein, das Erhabenste! Wenn wir dieses Jahr mit dem erhabensten Ideal beginnen, werdet ihr es schaffen. Schließlich waren jene, die vor euch Gott fanden, auch nur Menschen. Oder meint ihr, sie fielen als fertige Heilige vom Himmel herunter? Sie wurden auf die gleiche Weise geboren wie ihr – oder ich.
Beten allein genügt nicht
Die Menschen beten zu Gott um Hilfe, aber sie belassen es oft beim Beten... Zwei Schüler waren unterwegs zur Schule; sie hatten sich verspätet. Einer fing an zu beten und lief schnell zu. Der andere setzte sich am Straßenrand nieder und betete: „O Gott, lass mich rechtzeitig ankommen!“ Welcher von beiden wird ankommen? Der Erste läuft auch, er mag vier oder fünf Minuten zu spät kommen. Aber der, welcher am Weg sitzt und zu Gott betet – das genügt nicht. Wenn Gott sieht, dass ihr euch beeilt, wird er euch auch einen Auftrieb geben.
Der Sufi-Heilige Maulana Rumi erzählte von einer Taube, die durch die Luft zu dem Pilgerort Mekka flog. Ihr wisst, Tauben fliegen etwa 100 oder 130 km in der Stunde. Und sie sah unten einen Hasen, der sich auch schnell fortbewegte. Sie fragte ihn: „Was tust du? Wo willst du so eilig hin?“ „Nun, ich möchte den Pilgerort Mekka erreichen.“ Die Taube hatte Mitleid mit ihm: Sie sah ihn laufen und dabei sein Bestes geben, aber der Weg war noch so weit – und was tat sie? Sie nahm ihn in ihre Krallen auf und brachte ihn nach Mekka.
Wenn ihr nur immer müßig auf dem Weg herumliegt, wer wird sich da um euch kümmern? Also, keine Sorge, ihr werdet Hilfe bekommen. Gott sieht, dass ihr auch euer Bestes tut.
Kostbare Aussichten
Unser Meister pflegte zu sagen: „Ich gehe während der Nacht umher, um jedermann Barmherzigkeit in Hülle und Fülle zu schenken; aber alle schlafen. Nur wenige warten auf mich.“ Er geht umher, um seine Gnade auszuschütten, aber niemand ist da, sie zu empfangen. So geht er nachts herum und verteilt – wie würdet ihr sagen? – die Pille des ewigen Lebens an jene, die in die spirituellen Ebenen aufgestiegen sind und dort auf ihn warten; aber die Augen, die schläfrig sind, werden alleingelassen.
Ich führe diese Dinge nur an, um euch neuen Ansporn aufwärts zu geben. Warum also wie leblose Puppen sein?
Kripal Singh
Sant Kirpal Singh (1894-1974) wirkte seit 1948 als spiritueller Meister. Auf seinen Vortragsreisen und als langjähriger Präsident der Weltgemeinschaft der Religionen“ erwarb er sich in Ost und West große Achtung und Sympathie.